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The world is wide. Swim it. Ride it. Run it.

  • AutorenbildFabian Kremser

Bahn drei

Eine Geschichte übers Älterwerden. Eine Geschichte über Dinge, die sich nicht ändern. Eine Geschichte über Bahn drei.

Ich bin jetzt 34 Jahre alt, war früher aber jünger und hatte lange Zeit Angst vor dem Älterwerden. Nicht vor dem Prozess an sich, doch irgendwie war alles immer von einer Art Damoklesschwert überschattet, das da über mir baumelte und von Redewendungen wie "Ja, wenn du erst mal dreissig bist..." oder "Ab 25 geht's nur noch bergab" wieder und wieder gefährlich ins Schwingen gebracht wurde.

Ich wurde 25, ich wurde dreissig. Spätestens da wurde mir klar: so tragisch ist das alles nicht. Weder hatte sich am Morgen meines dreissigsten Geburtstages auf einmal in meiner Küche eine Thermomix manifestiert, noch wachte ich ab dort morgens mit gichtartigen Schmerzen am ganzen Körper und dem Satz "Tja, so ist das nun mal" auf den Lippen auf. Heute, nochmals vier Jahre später, ist dem immer noch nicht so. Und doch haben sich einige Dinge verändert.

So erzählt mir auf einmal ein Freund, den ich gefühlt vorgestern noch aktiv daran gehindert hatte im nicht mehr ganz nüchternen Zustand morgens um zwei bei der Hauptstrasse an vorüberfahrende Autos zu urinieren, heute mit der gleichen Begeisterung von seinen Vorsorgekonten, die er sich nun eingerichtet habe, alles digital, der letzte Schrei. Auch bin ich ehrlich enttäuscht von der Tatsache, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann wann ich das letzte Mal gefragt wurde, welches denn mein Lieblings-Dinosaurier sei. Als ob sich einfach niemand dafür interessiert.

Solche Dinge führen unweigerlich zu einem gesteigerten Zynismus, der sich mitunter in verstörenden, teils jedoch enorm klaren Gedankengängen äussert. Ein kleines Beispiel: ich bin mittlerweile ziemlich überzeugt dass zumindest ein Problem unserer Gesellschaft darin besteht, dass Fastfoodketten auf allen Kanälen rund um die Uhr Werbung machen und zudem mit riesigen Leuchtreklamen beschildert sind, Bibliotheken und Buchläden jedoch nicht.

Doch es gibt auch Gutes, viel sogar. So bereitet es mir beispielsweise grosse Freude zu erkennen, dass mein Freundeskreis und ich unseren teils sehr infantilen, dafür aber umso ehrlicheren Sinn für Humor beibehalten haben. Gewisse Dinge ändern sich eben einfach nicht. Genau wie meine nach wie vor enorm grosse Leidenschaft für Sport.

Da ich im Laufe des letzten Jahres entschieden habe, mich nochmals an die Welt des Profisports heran zu arbeiten, verbringe ich wieder viel, viel Zeit an einem Ort, in dem ich mehr oder weniger bereits meine ganze Pubertät verbracht habe: dem Schwimmbad. Eins muss ich zugeben: das ist heute anders als damals. Ich bin ruhiger geworden, merke ich, fokussierter, konsequenter. Und dennoch ist es exakt das Gleiche wie noch vor zehn Jahren.


Im Schwimmbad herrscht Krieg. Es war schon immer so dass ganz offensichtlich jedem frustrierten Grundschullehrer und Psychopathen mit latentem Hang zu ausufernder Gewalt von ihren Therapeuten empfohlen wurde: gehen sie mal ins Schwimmbad und reagieren sie sich ab! Hinzu kommen zumindest in den frühen Monaten jedes Jahres noch die guten Vorsätze. Das alles mischt man mit selbstverliebten Idioten, die ansatzweise seriös trainieren und die nichts besseres zu tun haben als in ihrer Freizeit grosse Mengen von Chlordämpfen zu inhalieren. Zu diesen zähle auch ich, da mach' ich mir nichts mehr vor. Man lernt ja auch dazu.


Oft kann ich es mir sehr gut so einrichten, dass ich den ganzen Rummel im Schwimmbad grosszügig umgehe. Hin und wieder jedoch nicht. So fand auch ich mich vor einigen Tagen auf einmal dort wieder, wo sich normalerweise eher die gemässigteren Schwimmer mit unbeirrbaren Rentnern um jeden Kubikmeter Wasser prügeln: Bahn drei.


An sich wollte ich "nur mal kurz", doch rief mir schon die erste Bahn in Erinnerung: Heute läuft noch Ski-Slalom im Fernsehen. Ich wich aus, verdrehte mich auf Weisen die mich schon meine versäumte Laufbahn beim Cirque Du Soleil bedauern liessen und lobte mich dabei selbst als ich erkannte: schon fünfhundert Meter ohne Körperkontakt. Dann kam, was kommen musste.

Ich befand mich wieder einmal inmitten eines waghalsigen Überholmanövers als mir der Schwimmer, an dem ich mich gerade vorbeischob, nicht nur einmal sondern gleich dreimal dermassen an verschiedenen Stellen eins in die Seite betonierte, dass ich ehrlich beeindruckt war. Es schmerzte. Doch das war nur der Auftakt.

Am Beckenrand angekommen hielt ich an um mögliche gebrochene Rippen kurz wieder gerade zu biegen und mir ein neues Hüftgelenk verschreiben zu lassen, als man mich von der Seite anbellte. Stop.


Dies ist eine wahre Geschichte. Es mag sein, dass ich das eine oder andere rhetorische Stilmittel eingesetzt habe (wie zum Beispiel masslose Übertreibung und hemmungslose Diffamierung), doch hat sich der folgende Dialog - leider - exakt so zugetragen. Weiter.


Das, so kam es von rechts, sei doch absolut unglaublich, da stehe man extra an einem Samstag Morgen früh auf um etwas für seine Gesundheit zu tun und dann werde man im Wasser dermassen bedrängt, das sei doch eine echte Schweinerei!

Was ich dachte war: Wenn du an einem Samstag um halb neun schon so eine Laune hast, mein Guter, dann ist es mit der Gesundheit nicht allzu weit her.

Was ich hingegen sagte war, dass es mir tue, wenn er sich auf einer zwei Meter fünfzig breiten Bahn voller Menschen bedrängt fühle, doch wenn ich mich richtig erinnerte, wären es dann doch SEINE Knie und Füsse gewesen, die MIR in die Magengrube getreten hätten.

Er starrte mich an. Ich starrte zurück. Dann lächelte ich, denn man hatte mir mal gesagt, dass ein Lächeln auch die tiefsten Abgründe überbrücken kann. Halte ich persönlich ja für Blödsinn und ich denke, wer mit sowas um sich wirft, zitiert auch mal ohne rot zu werden Sergio Barbarem, aber was soll's. Versuchen schadet ja nichts.

Sie, so ereiferte er sich weiter, sind ein Arschloch. Kurze Pause. Atemholen. Wissen sie das?

Jou, sagte ich. Jetzt schon.

Sein Unterkiefer begann, leicht zu zittern. Er wurde etwas lauter: Ich meine das ernst!


Ich dachte an meine Mutter und fragte mich im Stillen: Warum? Meine Mutter verfügt über einen Humor, den man getrost als rabenschwarz bezeichnen kann, peppt diesen jedoch gerne mal mit Flachwitzen auf. Unter anderem auch mit einem, der sich ob der häufigen Wiederholung über die Jahre so tief in meine Hirnrinde eingestanzt hatte, dass die entsprechende Platte mit der zugegeben schwachen Pointe nun abspielte, ohne dass ich es hätte verhindern können.


Da bin ich froh, sagte ich. Bei sowas versteh' ich nämlich keinen Spass.


Danach tauchte ich ab. Fünf Minuten später verliess ich das Becken. Dabei dachte ich mir: ich werde älter. Vor zehn Jahren noch hätte diese Szene vermutlich dazu geführt, dass sowohl mein momentaner Erzfeind als auch ich vom Bademeister mit Schwung aus der Halle befördert worden wären, im Gepäck einen Brief an Mutti mit der Bitte, uns mal eben die Ohren lang zu ziehen.


Ich bin heute viel entspannter. Das hat sich verändert. Ich bin keine zwanzig mehr und darüber bin ich froh. Ich bin überzeugt, dass sich solche Szenen im Pool auch in weiteren dreissig Jahren noch immer abspielen werden, denn gewisse Dinge ändern sich offenbar nicht. Jedoch vielleicht die Art, wie man mit ihnen umgeht. Ich werde älter - und das ist auch gut so.


Herzlich,

Fabian

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