Shangri-La
- Fabian Kremser

- vor 4 Tagen
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 2 Tagen
„It’s the end of a perfect day
For all the surfer boys and girls
The sun’s dropping down in the bay
And falling off the world…“
Mark Knopfler, Our Shangri-La
Mark begleitet mich schon lange. Und weil das Leben selten linear verläuft, sondern in Kreisen, gibt es Zeiten, in denen ich mehr in seiner Musik versinke als in anderen. Die letzten Tage war er praktisch immer auf die eine oder andere Art an meiner Seite und brachte mich, unter anderem, zum Nachdenken.

Das mit den Kreisen… Das sehe ich inzwischen als eine wichtige Lektion. Wir müssen offenbar wieder und wieder an die Orte oder auch zu Momenten zurückkehren, die für uns Richtungsweisend waren und sind. Bis wir irgendwann dort ankommen können, wo wir eigentlich hinwollen. Oder hingehören?
Vielleicht suchen wir alle nach diesem Shangri-La, das zwar eher metaphorischer Gestalt ist, doch deswegen noch lange nicht irreal.
„Man begegnet sich immer zweimal“.
Was für ein unendlich tiefer Satz. Oft dürfte das schlicht so verstanden werden, dass man eine Person irgendwann wieder sieht, doch denke ich, dass „zweimal“ hier sinnbildlich steht für „so oft es nötig ist“. Und dass das, wie eben gesagt, auch für Orte gilt. Und Momente. Und… nicht zuletzt sich selber.
Zwischen Ende November und Anfang Dezember durfte ich 10 Tage auf Fuerteventura verbringen, einer weiteren Kanareninsel, die in meinem Leben eine wichtige Rolle spielte (über die andere, Lanzarote, habe ich mich hier schon das eine oder andere Mal ausgelassen). Oder spielt? Das Kapitel ist noch nicht zu Ende. Und im gerade angerissenen Kontext kann es kaum Zufall sein, dass ich in diesem besonderen Herbst / Winter wieder hier war.
Als wir am 27. November landeten und ich die noch vertrauten Hügelzüge nach so langer Zeit wieder sah, war das ein schwer zu beschreibendes Gefühl. Einerseits vertraut, als wäre ich gestern erst hier gewesen. Und dann doch wieder fremd. Später zog ich meine Laufschuhe an und machte mich auf den Weg, die knapp 4 Stunden Flug aus den Beinen zu laufen.
Zuletzt war ich hier vor 13 Jahren.

Was soll ich sagen?
Die Strassen waren noch dieselben. Der Sand und die Felsen sahen noch so aus wie damals, ebenso die Hügel und Canyons. Auch der Wind war noch hier und dröhnte schon nach kurzer Zeit in meinen Ohren wie die Trommeln in einem Kloster.
Und doch: Während ich an diesem ersten Abend im Licht es zu Ende gehenden Tages durch die Wüste lief fühlte es sich an, als stiegen die letzten Jahre durch die Lava nach oben. Mir wurde bewusst: ja. Die Insel ist noch da, aber sie ist nicht mehr die gleiche. Weil ich nicht mehr der gleiche bin.
„Trainingslager“ nannte sich das offiziell, doch bereits nach wenigen Tagen schlafen, essen, trainieren und wiederholen musste ich mir eingestehen, dass es weit mehr war als das. Ich parkte mal wieder an einer metaphorischen Strasse ohne befestigten Seitenstreifen.
13 Jahre.
Was für eine Reise das war.
Ich glaube, ich habe hier schon das eine oder andere Mal angedeutet, dass ich mit den sozialen Medien nicht sonderlich grün bin. Oder vielleicht eher: dass ich da nicht besonders aktiv bin. Es gibt mir ganz einfach nichts, dort über meine Heldentaten, Trainings und Statistiken zu berichten. Wie an so vielen Orten gibt es auch hier andere, die das besser machen als ich es je könnte. Ich glaube, das muss auch gar nicht sein. Denn am Ende sind das, was mich rund um den Sport begeistert und erfüllt, immer noch Dinge, die ich am liebsten direkt mit Menschen teile. Der direkte Austausch, sei er noch so klein, gibt mir da weit mehr.
Gleichzeitig war ich in den letzten Tagen auf den sozialen Medien wohl so aktiv wie selten zuvor. Denn: da ist auch noch meine Firma, die Tricademy, in deren Namen das Camp hier stattfand und die auch ein wenig nach aussen getragen werden will und sollte.
So weit, so gut.
Ich kam mir nur so unendlich falsch vor.
Denn: Besagte 13 Jahre… das war eine Zeit, die mich an Orte gebracht hat, die ich nie kennenlernen wollte.
Zurück zu den Kreisen: ich brauchte nicht lange um zu merken, dass sich hier Dinge in Gang setzten, die ich nicht würde kontrollieren können.
Wir sagten schon damals über die Insel: was immer du hierher mitbringst, wird früher oder später ans Licht kommen. Klar, damit meinten wir vor allem, wie sehr man mit Gegenwind, Höhenmetern, wenig Tankstellen und mediokrem Hotelessen klar kommt, doch wenn ich es recht bedenke, war es schon damals mehr als nur das.
Nach nur 3 Tagen im Wind merkte ich das erste Mal, dass ich kaum mehr etwas hatte, das NICHT nach aussen getragen wurde. Kurz: So gefestigt ich mich nach dem Ironman in Cervia fühlte, so sehr wurde ich hier wieder in meine Einzelteile zerlegt.
13 Jahre…
Die Zahlen sind das eine. Ich bin 39 und kann in dieser Zeit 5 Nervenzusammenbrüche, 2 Burnouts und eine Depression verzeichnen, die mich fast alles kostete.
Um es mal auf Deutsch zu sagen: „Leistungsgesellschaft“ am Arsch. Das ist wirklich nichts, worauf ich stolz bin.
Allerdings schäme ich mich unterdessen auch nicht mehr dafür.
Das könnte einer meiner grösseren Erfolge sein. Das Gefühl der Scham, des Versagens, war ein grosser Teil dessen, was mich in diesen Jahren innerlich mehr und mehr auseinander nahm. Nicht „richtig“ zu sein, nicht „genug“, nicht „normal“… zu meiner eigenen Unfähigkeit, das, was in mir vorging, in Worte zu fassen, kamen von aussen viele Ströme hinzu, die in das gleiche Fass flossen.
Ich wiederhole mich hier: Das alles war nie ein Märchen. Kein „wenn ich das schaffe, schafft es jeder“-Nonsens, den man eben auf Instagram und wie sie alle heissen breittritt. Nein. Dort teilt man Bilder von schönen Swimmingpools, Sonnenaufgängen oder wie man die lokalen Standbilder von Kamelen zweckentfremdet.

Währenddessen versuche ich immer wieder, Klarheit darüber zu erlangen, wo ich mich auf meiner Reise gerade befinde. Nicht zuletzt, um wirklich, wirklich nicht zielführende Gedanken wie „warum?“ gar nicht erst an die Oberfläche kommen zu lassen. Oder die Frage, ob ich weniger wert bin, wenn ich mich mit einer Krankheit herumschlage, die sich trotz allem Fortschritt hin und wieder meldet.
Zeit, es beim Namen zu nennen: das ist wohl eine meiner grössten Ängste. Dass ich an meiner Vergangenheit gewertet werde. Es braucht viel, bis ich mich Angesicht zu Angesicht jemandem gegenüber öffnen kann, denn da ist immer diese Hürde. Was, wenn…?
Was, wenn es auslöst, das man sich sagt: nein, das fasse ich lieber gar nicht erst an? Ich kann das nicht einmal Übel nehmen, ging es mir ja selber lange genug so…
Leid tue ich mir allerdings nicht. Das habe ich auch nie. Wozu auch? Ich glaube, ich habe mich schlicht geweigert, aufzugeben. Sobald ich realisiert hatte, was vor sich ging, verschoben sich ganz einfach meine Ziele. Ich wollte (und will) nie jemand sein, der seine Krankheit und seine Probleme zu seiner Identität macht.
Ich glaube, was mich auf Fuerteventura am meisten forderte, war diese Dualität: auf der einen Seite der Spass, den ich absolut hatte, das Training, das stattfand und gut war, der Weg weiter zurück zu mir selber… alles wertvoll, alles gut. Der kleine Teil meiner kleinen Welt, der konstant weiter nach vorne geht, Muskelkater und gelegentliche Zuckerexzesse mal aussen vor.
Auf der anderen Seite dann… Kreise. Kreise, die man wohl immer und immer wieder ziehen muss. Zurück auf Anfang. So lange, bis es eben mal genug ist. Das ist „Instagram vs. Realität“ auf einem völlig neuen Level…
Mir fällt dazu gerade nur ein Wort ein:
Fuck.
Ich muss hier ehrlich mit mir selber sein. Im Sommer und besonders in und nach Cervia erlebte ich mich wieder, nun, wie mich selber. Das war... ICH. Die Energie, die ich fühlte, trug mich, motivierte mich und durchströmte… alles. Der Blick in mein Shangri-La war mein Geschenk. Dass ich glaubte, schon dort zu sein, mein Fehler.
Als der Crash kam, war er ebenso episch wie das Hoch. Darüber gesprochen habe ich mit kaum jemandem. Warum auch? Stichwort Identität: Ich will nicht zu dem Typen werden, dem es nur noch mies geht. Been there, done that, got the T-Shirt and it SUCKED. Auch wenn ich nicht anders konnte: das braucht niemand. Also... nochmal von vorne?
Nein. Ich bin heute an einem anderen Ort, so viel kann ich klar erkennen. Und das ist GUT. Ich denke nur unterdessen, dass es seinen Sinn hatte, nach dem letzten Ironman so hart in der Realität zu landen. Es hat mir ein neues Ziel gegeben: ich weiss ganz genau, wo ich hin will.
Und um dorthin zu kommen, muss - unter anderem - all das, was ich in diesen letzten Tagen nochmal aus meiner Vergangenheit serviert bekommen habe, erst verarbeitet und dann weggeschafft werden. Das braucht Zeit. Wie viel… nun, eben so viel, wie es braucht.
Was es NICHT braucht ist, derweil auf allen möglichen Kanälen einen auf heile Welt zu machen. Auch hier hilft mir Mark, Worte zu finden, die ich nicht habe. Dieses Gefühl, nach der letzten, gerittenen Welle im Abendlicht bei einem Feuer am Strand zuzusehen, wie die Sonne untergeht, ist etwas, das an Frieden und Vollkommenheit kaum zu überbieten ist.
Und auch wenn es etwas weltlicher ist… in eben diesem Abendlicht am Ende einer Ausfahrt nach Hause zu rollen, anschliessend durch die immer länger werdenden Schatten zu laufen, nur im Rhythmus des Herzens… das gibt mir tausendmal mehr als irgendwelche Bestwerte, Höchstleistungen oder verbrannten Kalorien. Und diese Momente teile ich viel lieber direkt mit Menschen, wenn ich sie nicht ganz egoistisch für mich selbst behalten mag.
Es ist nicht immer einfach, so intensiv zu fühlen. Erst recht nicht, wenn es dabei um eine organisierte Raserei wie Triathlon geht.
Kreise. Offenbar muss ich nochmal eine Runde drehen. Wenigstens noch einmal. Irgendwann werde ich an einen Punkt kommen, an dem ich über all diese Dinge auch reden kann oder möchte. Und ganz wichtig: dann wird das ein Teilen sein. Nicht ein Abladen von Problemen in der Hoffnung auf Lösung von aussen, sondern ein Teilen meiner Reise, die mich hierher gebracht hat.
Wo auch immer „hier“ ist.
Wo immer Shangri-La sein mag.
Ich bin unterwegs.
Und ich komme, so schnell ich kann.
Wenn du bis hierher gelesen hast: danke, wer immer du auch bist. Danke für dein Interesse, das über die 3 Sekunden eines Insta-Snapshots (oder wie das heisst) hinaus geht. Denn was ich dort um mich werfe… nun. Das ist zwar ein Teil von mir, doch am Ende bin es eben auch nur bedingt ich.
Mich findet ihr hier. Auch zwischen den Zeilen. Auf der Strasse, auf den Trails, in den Pools. Ganz sicher wieder im Sommer, denn der nächste kommt bestimmt. Shangri-La muss vielleicht ganz einfach noch etwas warten.
Herzlich,
Fabian
Und wenn ich schon darüber schreibe... hier könnt ihr diesen wunderbaren Song anhören.




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