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The world is wide. Swim it. Ride it. Run it.

  • AutorenbildFabian Kremser

Zwischen Dante und Daiquiri

Tja. Und dann war da noch dieses Rennen…


Eins muss ich sagen: nach über 20 Jahren in dem wunderschönen Sport Triathlon ist es nicht ganz einfach, noch etwas Originelles aufs Papier zu bringen, wenn es um Rennberichte geht. Denn: das Meiste ist irgendwann, irgendwie schon mal erlebt oder gesagt worden. Der Grund, weshalb man es dennoch immer wieder versucht, dürfte wohl der Gleiche sein, aus dem man sich wieder und wieder an den Startlinien dieser Welt findet: Weil dieser Sport einfach toll ist und auch nach so einer langen Zeit nicht langweilig wird!


Doch eins nach dem anderen.

TL:DR: Ich war am Ironman Italy, schwamm dort, fuhr dann Rad, sah ein paar Flamingos, stieg ab, lief einen Marathon, hatte die Zeit meines Lebens und liebe meinen Sport nach wie vor.


Die ausführliche Version:


Cervia! Ein kleines Städtchen an der Küste der Emilia Romagna, unterhalb von Ravenna, oberhalb von Rimini. Also irgendwo zwischen Dante und Daiquiri. Der Strand ist entsprechend ab Ende August leer, einige Hotels schon verriegelt und verrammelt. Nach Ferragosto ist in Italien erstmal grande Siesta, was man auch merkt: Wer sich am Wochenende vom 17. Und 18. September dort aufhielt, war entweder irgendwie mit dem Triathlon verbandelt, arbeitete in der Gastronomie oder hatte sonst verpasst, dass die Züge nicht mehr stündlich fuhren.


Entsprechend war es meiner Meinung nach eine wirklich tolle Stimmung, in der sich die ganze Riviera befand: da wurde gerannt, geradelt und geschwommen, als gäbe es kein Morgen und auch ich wurde davon sehr schnell angesteckt. Man muss sich das auch einfach mal vorstellen: drei Wettkämpfe sollten an zwei Tagen ausgetragen werden. Der Ironman Italy, also die volle Langdistanz, war für den Samstag geplant, am Sonntag sollten dann die olympische Distanz und die Mitteldistanz, also die Ironman-Rennen 5i50 und 70.3, stattfinden. Allein auf der Lang- und Mitteldistanz waren insgesamt gut 7000 Athletinnen und Athleten gemeldet, wie gross das 5i50-Rennen sein sollte, wusste ich nicht.


Für mich war es seit langem mal wieder ein absolut besonderes Event: ich stand schon seit einiger Zeit auf der Startliste des Ironman, wo ich den nächsten Schritt in meinem «Rebut» oder dem «Long Way Home» machen wollte (ergänzend hierzu: ich habe mir vor einigen Jahren eingestanden, dass ich mit dem Thema «Profisport» noch nicht fertig war und bin nun auf dem Weg, mir das nochmals zu ermöglichen. Ist aber ein anderes, umfangreiches Thema und eigentlich gerade auch nicht so wichtig). Gleichzeitig aber waren auch viele meiner Athletinnen und Athleten vor Ort, die sich die 70.3-Distanz vorgenommen hatten. Wer mich kennt, weiss: gemeinsam auf so ein Rennen nicht nur hinzuarbeiten, sondern es dann auch noch miteinander zu feiern, ist mir etwas vom Grössten und so war dieses Saison-Finale in meinen Augen eine einzige Party.


Okay… Zeit für etwas Realität.


Es kann gut sein, dass man mir meine Euphorie nicht so sehr anmerkte, denn ich war nervös wie Bolle. Eins ist klar: das Gefühl, vor einem Rennen nicht genug gemacht zu haben, nicht in der Form zu sein, in der man eigentlich könnte, blablabla… das alles gehört fest dazu und ich bin überzeugt, dass es an der Zeit ist, meine Schuhe in der Wechselzone zu lassen, wenn ich mich vor einem Wettkampf einmal nicht mehr so fühle.


Was ich mir ebenfalls eingestehen muss, ist eine dieser unangenehmen Wahrheiten: wenn der Startschuss fällt, ist es ganz egal, was in den Wochen und Monaten davor stattfand. Dann heisst es: Go-Time! In dem Moment bekommt man eine gesunde Dosis Perspektive ins Gesicht geklatscht. Jedes Mal.


Zu Deutsch: in Cervia angekommen war es absolut Latte, ob und wie ich in den letzten Wochen trainiert hatte, was mein Stoffwechsel konnte (oder eben nicht), was ich richtig oder falsch gemacht hatte. Ich konnte es drehen und wenden, wie ich wollte: das Rennen würde mir sehr, sehr deutlich die Richtung weisen und mir mehr als nur klar machen, ob ich mir mit meiner ganzen «ich-will-nochmal-als-Profi-starten»-Idee ein einziges Luftschloss baute, oder ob ich wirklich auf dem richtigen Weg war.


So weit, so gut. Was mich neben all dem aber dennoch nachhaltig verunsicherte, war dann eben doch das, was mich in den letzten Monaten begleitet hatte. Nach einem ziemlich umfassenden, metabolischen Kollaps (wohl verursacht durch eine Corona-Infektion im Mai) hatte ich zuerst mein geplantes Rennen im Juli im Baskenland abgesagt. Das war die richtige Entscheidung, da bin ich überzeugt. Danach hatte ich ebenso seriös alles in die Waagschale geworfen, was ich konnte und wusste, um mich wieder in Form zu bringen. Das Training war gut verlaufen, aber eben: ich hätte mehr gewollt.


Bevor ich mich hier im Kreis drehe: wie gesagt ist das meistens der Fall und der Grund, weshalb mich dies auf den Kanten aller Stühle sitzen sah, wurde ebenfalls erläutert.


Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich mein Rad in die Wechselzone bringen wollte, also am Freitag Nachmittag, war auch alles entsprechend in Ordnung. Ich hatte mich etwas bewegt, meine Athletinnen und Athleten getroffen, das Rennen besprochen, war einen Teil der Strecke abgefahren… das Übliche. Das Einzige, was mich so ein klein wenig verunsicherte, waren zum einen Berichte über horrible Unwetter nur wenige Kilometer von der Küste entfernt sowie ein Wetterbericht, der exakt für den Samstag, also den Renntag, einen üblen Temperatursturz, Regen und Wind voraussagte, dass es einfach keinen Spass machte, sich das anzusehen.


Vor der Wechselzone kam dann die Nachricht: das Rennen vom Samstag war, eben aufgrund jenes Wetterberichtes, erst einmal abgesagt, man müsse abwarten, evtl. dann am Sonntag. Wir wurden heimgeschickt mit der Bitte, unsere Emails regelmässig zu checken und wirklich nur das, was dort offiziell verkündet würde, ernst zu nehmen.


Zack! Da war sie auf einmal weg, die ganze Spannung, die sich in den letzten 48 Stunden beständig aufgebaut hatte. Das war erst mal relativ ernüchternd… und irgendwie auch komplett seltsam.


Oh, Internet, du wunderbarer Ort der Elefanten, die zuvor kleine Mücken waren!


Was in den nächsten 18 Stunden alles an «Neuigkeiten» und Gerüchten durch den Äther flatterte, hatte schon fast TV-Potential:


Am Sonntag würden zwei Mitteldistanzen durchgeführt werden.


Am Sonntag gäbe es drei Rennen gleichzeitig.


Es seien derzeit Lastkraftwagen mit dem ganzen Material von Barcelona unterwegs, um eine weitere Wechselzone zu ermöglichen.


Es würde am Sonntag nur ein Bike&Run geben.


Es würde am Sonntag nur einen Marathon geben.


Es würde am Sonntag gar nichts geben.


Man müsste das Schwimmen auch am Sonntag absagen, denn es war vor einem Tsunami gewarnt worden.


Ausserdem gab es zu viele Quallen im Meer.


Und es war auch ein Hai gesichtet worden.


All’ das las ich in den verschiedenen Populärmedien, während wir im Hotel darauf warteten, dass zum einen das Wetter wirklich umschlagen und man mich zum anderen darüber informieren würde, was denn nun Sache war.


Kurz: das Wetter schlug wirklich um. Um 7 Uhr Morgens ging die Sonne noch unverschleiert auf und die ersten, etwas voreiligen beschwerten sich im Netz bereits darüber, dass das ja «Typisch Ironman» wäre und man ohne weiteres hätte starten können. Um 8:30 öffneten sich die Schleusen und zu behaupten, dass der Wind «aufgefrischt» hätte, käme in etwa der Behauptung gleich, dass ein Picknick nahe des Reaktor 4 in Tschernobyl womöglich etwas unbedacht wäre.


Es tobte, dass es nicht mehr lustig war und man sich unwillkürlich veranlasst fühlte, schon mal pro Forma die Reisetaschen zu packen und in die Nähe der Türe zu stellen. Eins war klar: hätte man das Rennen so gestartet, respektive riskiert, dass Athletinnen und Athleten in dieser Urgewalt auf dem Fahrrad unterwegs wären, es hätte Tote gegeben. Das Rennen abzusagen war die einzig richtige Entscheidung, die das Team von Ironman Italy hatte treffen können.


Dann wurde es ruhiger. Und man begann sich zu fragen: …vielleicht doch?


Abends um sieben kam dann die offizielle Nachricht: Ja, es würde in der Tat zwei Rennen am Sonntag geben.


Irgendwie hatten diese Übermenschen es geschafft, eine komplette, zweite Wechselzone für nochmals runde 3500 Athletinnen und Athleten aus dem Boden zu stampfen. Dazu hatte man, und das tut mir aufrichtig leid, das komplette 5i50-Rennen über die Klinge springen lassen. Die Behörden hatten zugestimmt, die Strassen wären bis Sonntag Morgen frei. Und damit war die Sache klar.


Da ich schon mitten in den ehrlichen Worten bin, muss ich zugeben, dass ich noch in der Schlange zum Check-In stehend nicht ganz sicher war, ob ich tatsächlich starten wollte. Ich hatte mich verunsichern lassen und wälzte nun neben einigen Bedenken (Wären die Strassen wirklich sauber und trocken? Würde sich das Meer genug beruhigt haben? Waren es nicht einfach zu viele Leute auf einmal?) auch einen inneren Konflikt, in dem ich mich selbst fragte, ob diese Ängste nun real waren – oder mein tiefstes Unterbewusstsein, welches die Stunde der Wahrheit am liebsten nochmals ein Jahr hinausgeschoben hätte…


An dieser Stelle war mir einmal mehr meine Freundin Tanja eine grosse Hilfe, die mit ihrer unaufhaltsam positiven Art keinen Zweifel daran liess, dass es nur eine Möglichkeit gab, das alles herauszufinden. Es dauerte nicht lange und dann war klar, dass ich starten würde.


…und dann war es morgen.


Als die Sonne sich zwischen dem Horizont und den letzten Wolkenfeldern golden aus der Adria erhob, fanden sich helle Scharen von Triathletinnen und Triathleten am Strand wieder. Als Paul Kaye, der legendäre Speaker, uns allen nochmals in Erinnerung rief, dass an diesem Tag wohl so absolut gar nichts selbstverständlich war, blieb kaum ein Auge trocken. Mich hatten sie spätestens, als auf einmal Hans Zimmer’s «Now we are free» aus dem Film «Gladiator» über die Szene hallte. Dann ging es los.


Nun, alles in allem ist mit den ersten Zeilen dieses Artikels schon relativ genau beschrieben, was dann folgte. Das Schlimmste, was mir an diesem Tag passierte war, dass sich schon beim Ausstieg aus dem Wasser der Reissverschluss meines Einteilers verabschiedete. Ansonsten… Ich schwamm. So schnell ich konnte. Als ich mich auf einmal an der absoluten Spitze dieses wahnsinnigen Zirkus’ wiederfand, war ich einfach nur glücklich.


Dann fuhr ich Rad. Klar, je später es an diesem Tag wurde, desto chaotischer, voller, hektischer ging es auf der Strecke zu. Rund 6500 Athletinnen und Athleten auf 90km zu verteilen… das war nun mal vorprogrammiert und meine persönliche Auffassung war und ist, dass es unter diesen Umständen niemanden störte. Wir waren uns alle bewusst, Teil von etwas aussergewöhnlichem zu sein, also brauchen wir uns da auch nicht weiter darüber zu unterhalten.

Es spielte auch keine Rolle. Ich fuhr im goldenen Licht des noch immer relativ jungen Morgens über blitzblanke Strassen, an ehemaligen Salinen vorbei, in denen sich die Flamingos sammelten. Ein Bild von so reiner Schönheit, dass allein diese wenigen Minuten in der absoluten Gegenwart alles andere rechtfertigten und mich mit einer glühend heissen Gewissheit erfüllten: ich war genau da, wo ich hingehörte und tat exakt das, wozu ich gemacht war. Gibt es etwas Besseres?


Anschliessend lief ich. Einen Marathon. Und auch das ging dieses Mal so einfach und schnell über die Bühne wie noch nie.

Das muss ich vielleicht ins Verhältnis setzen. «Wie noch nie» soll nicht heissen, dass mir der abschliessende Marathon leicht fiel. Doch verglichen mit anderen Rennen war es… nun, leichter. Ich LIEF. Und das gar nicht mal so langsam. Und ich ging mit den kleinen Krisen, die in jedem einzelnen Rennen auftauchen, ganz einfach um anstatt daran zu verzweifeln.


Im Ziel durfte ich mich mit einer Endzeit von 9:05:50 Stunden über ein Resultat freuen, das ab sofort meine neue Bestzeit über die Distanz darstellt.


Natürlich waren andere schneller als ich. Doch es war ein wunderbares Erlebnis. Gute 18 Jahre nach meinem ersten Ironman und nach einer Zeit, in der ich teils unendlich weit davon entfernt war, mich als Athlet zu fühlen, nach einer krüppelnden Depression mit allem Drum und Dran, die vor fast vier Jahren begonnen und mich teils noch immer nicht ganz losgelassen hatte, war ich hier: besser, schneller, fitter als je zuvor!

Dafür bin ich dankbar. Dafür, und auch für all die Menschen, die mich auf dem Weg begleitet haben. Der ist noch nicht zu Ende, denn auch mein Unterbewusstsein konnte am Ende des Tages nur zustimmen: ich baue mir kein Luftschloss. Ich bin auf dem Weg zurück. Wie lange er noch sein wird und wie weit er mich bringt, weiss ich nicht, doch es ist mir auch einerlei. Denn anders als vor nicht allzu langer Zeit freue ich mich auf jeden nächsten Schritt!


Am Ende möchte ich mich von Herzen bei allen bedanken, die an diesem Tag an mich gedacht oder mit mir an der Strecke waren. Ich weiss, dass ich gerade in den letzten Stunden vor einem Rennen nicht die beste Gesellschaft bin – dass ihr dennoch wieder und wieder zu mir haltet, ist ein Geschenk.


Ein ebenso grosses Danke geht an all meine Athletinnen und Athleten, die an diesem Tag mit mir geschwommen, Rad gefahren und gelaufen sind: mit euch die gleiche Strecke zu teilen und das Resultat unserer Arbeit in Echtzeit zu sehen, hat mich tief berührt und beflügelt. Ich bin so unendlich stolz auf euch alle und genauso dankbar für das Vertrauen, dass ihr in mich als Coach habt. Ich sehe meine Arbeit und die Menschen, mit denen ich dank ihr in Verbindung komme, als etwas absolut Aussergewöhnliches an. Dies alles so und in dieser Form erleben und feiern zu dürfen, ist das Beste, was ich mir wünschen kann.


In diesem Sinne. Auf ein Neues, oder?


Herzlich,

Fabian


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