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The world is wide. Swim it. Ride it. Run it.

  • AutorenbildFabian Kremser

Lyrik

"Der Text? Das ist mir doch egal, es muss einfach gut klingen!"


Über Geschmack kann man bekanntlich nicht streiten. Über Ignoranz hingegen schon, und das sollte man meiner Meinung nach tun. Oft und leidenschaftlich, denn sie ist ein Problem in unserer Welt.

Ja, hatten wir schon, in vielen Farben und Formen. Ich kann mich in Rage reden, wenn es um Musik und ihren Inhalt geht. Ich bin der Ansicht, dass man sich nicht einfach alles ins Gehirn pfeifen sollte, das "gut klingt" und einen "coolen Beat" hat, bei dem man "abschalten kann" oder bei dem es sich "gut Party machen" lässt. Ich vertrete die Meinung, dass man hinhören sollte. Denn da gibt es einiges zu entdecken.


Die Medaille hat zwei Seiten. Oder sogar noch mehr. Doch am Ende ist es eigentlich einfach: ein Musikstück (oder ein Stück Elektromüll, konstruierte Mischpultfolter und wie man den ganzen, "modernen" und neuen, "sooo guten" Mist eben bezeichnen kann) gefällt einem rein akustisch - oder eben nicht. Das ist der Part, über den man wie gesagt nicht streiten kann. Das verurteile ich auch nicht. (Also, ich verurteile das Zeug, das mir nicht gefällt, wie gerade eben. Aber da ich an den allermeisten Tagen von meinem Recht gebrauch mache, mich dem ganz einfach nicht auszusetzen, ist es mir herzlich egal. Ich werde erst unleidig, wenn man mich zwingt, mir solche akustische Kanalreinigung gegen meinen Willen anzuhören).


Worüber man jedoch UNBEDINGT diskutieren sollte, ist, wie gesagt, der Inhalt. Ein kleiner Ausflug in die "Geschichte".


Anno: Dunnemals. Ort: Zürich. Schule. Ein Kamerade spielt mir ein neues Lieblingslied ab. "Hey, hör' dir das mal an! Kennst du? Ska-P! Spanier! Voll geil, die gehen echt ab!"


Tun sie. Übersteuerte E-Gitarren, Ska, Blaskapelle, tatsächlich versierter Gesang. Holla die Waldfee, das macht Laune! Er kann auch kaum still sitzen. Ich höre zu. Mein Spanisch ist nicht gut, doch... halt mal.


Una pistola en mi cabeza

Me está obligando a asesinar a mi papá

Soy una máquina de guerra

Mi dedo aprieta ese gatillo sin mirar

Me han obligado a disparar

Me han enseñado como asesinar

Me han obligado a mutilar

En un infierno terrenal


Bitte WAS?


Deutsch: Eine Pistole an meinem Kopf zwingt mich, meinen Vater zu erschiessen. Ich bin eine Kriegsmaschine, mein Finger zieht den Abzug, ohne hinzusehen. Sie haben mich gezwungen zu schiessen, sie haben mir beigebracht zu töten, sie haben mich gezwungen zu verstümmeln in dieser Hölle auf Erden.


Ska, Ska, Ska...


"Sag mal... hast du da mal hingehört? Das ist ja krass!"


"Hä? Nein, ist mir doch egal, ich find' das Lied einfach geil, da will ich tanzen!"


...und diese Ironie ist irgendwie köstlich. Das Lied der Band Ska-P "El Niño Soldado" prangert das Thema der Kindersoldaten mit einem musikalischen und lyrischen Faustschlag an, dass es wörtlich kracht. Ich finde es unterdessen einen wichtigen Song, den man an sich kaum genug spielen kann, denn es ist wichtig, dass wir dieses Gesicht der Menschheit weder vergessen noch aufhören, dagegen vorzugehen.


Aber ohne hinzuhören zu einem solchen Lied abzufeiern? Das ist Brechreiz hervorrufende Ignoranz.


Gegenwart.


Hat sich was geändert?


Nein.


Tatsächlich hat sich das noch weiter verbreitet. Dieses "ist mir doch egal, ich find' das Lied cool" ist meiner Meinung nach echt schlimm. Denn es geht in der heutigen Musik ja immer wieder trotz allem noch um was. Vielleicht nicht unbedingt mehr Kindersoldaten, aber... Drogen, Mord, Vergewaltigung. Hört man sich den durchschnittlichen Pop- oder Rap-Song an, kann man den Eindruck gewinnen, dass mehrere Jahre #metoo genau gar nichts gebracht haben. Weist man darauf hin... "Ach... ja, aber das Lied ist halt einfach cool".


Ich übersetze das mal.


Wenn uns etwas akustisch oder visuell gefällt, uns anspricht, dann sind Hintergrund und Inhalt nicht nur egal, sondern auch entschuldbar?


Es muss so sein. Wie sonst könnte es ein Label wie "Boy London" es rechtfertigen, den NSDAP-Parteiadler als Logo zu missbrauchen? (Ich werde dem hier ganz sicher keinen Tribut zollen, indem ich es abbilde, aber... Google ist euer Freund).


Mir macht das ein wenig Angst. Dass wir unseren eigenen Genuss und die Bequemlichkeit dermassen hoch bewerten, dass wir sie über Dinge wie Geschichte, Moral und Empathie stellen. Oder liege ich da komplett daneben?


Herzlich,

Fabian

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