Wer hier ab und zu einmal hineinschaut weiss, dass ich meine lieben Probleme mit Rennberichten habe. Dennoch sind sie etwas, das hin und wieder nötig ist. Denn: ja, Triathlon besteht aus Schwimmen, Rad fahren und Laufen. Und ja, genau das passiert in einem Rennen, vor allem, wenn man den Sport wie ich schon gute 24 Jahre macht. Nennt mich "alt". Dass man dabei aber auch nach bald einem Viertel Jahrhundert noch Neues erleben darf, führt dazu, dass es auch immer wieder etwas zu erzählen gibt...
Als ich letztes Jahr über die Ziellinie des Ironman Italy in Cervia lief, war ich auf einem Level mit der Welt fertig, den ich so nicht kannte. Ab etwa dem 60. Kilometer der Radstrecke hatte ich nichts weiteres getan (nebst in die Pedale zu treten und zu laufen, versteht sich), als in meinem Inneren mit mir selbst zu kämpfen. Ich war auf einer Skala erschöpft, die weit, weit über alles hinaus ging, das mir bisher bekannt war (was eine wirklich üble Depression mit einschliesst). Mein Vorsatz: so etwas will ich nie wieder erleben.
Kennt ihr gute Vorsätze? Sie werden manchmal wahr...
Das Jahr 2024 war für mich vor allem auf der mentalen und emotionalen Schiene einmal mehr eine komplett neue Herausforderung. Es begann mit einer langen und langwierigen Krankheit im Frühjahr, von der ich mich nur langsam erholte, bekam dann im Juli einen weiteren Dämpfer, als mein Leben auf einmal komplett Kopf stand und der mich am Ende so zerlegte, dass an einen Start am Ironman Kopenhagen nicht zu denken war.
Der physische Tribut des Ganzen? -1.2kg Muskelmasse, ein Cortisollevel, den mein Arzt mit den netten Worten kommentierte, dass es ein Wunder sei, dass ich noch aufrecht stehe und nicht eingeliefert wurde und damit verbunden eine schlicht nicht vorhandene Leistungsfähigkeit. Ich nahm´s als Kompliment auf, merkte aber: der Körper funktioniert nicht so, wie ich es gerne hätte und es gibt nichts (legales), was ich dagegen tun kann.
Also meldete ich mich für einen nächsten Ironman an, denn letzten Endes bin ich immer noch ich. Da ich aber nun ausreichend Zeit (und auch die Daten) hatte, um mir neue und für mich persönlich wichtige Ziele zu setzen, fuhr ich mit einem komplett anderen Mindset erneut in die Emilia Romagna, wo am 21. September 2024 das dortige Rennen stattfand.
Das ganze Wochenende stand unter einem besonderen Stern: ganze 14 Athletinnen und Athleten der Tricademy würden auf den beiden Distanzen am Start und an der Strecke sein. Wir hatten alle lange darauf hingearbeitet und freuten uns auf den Saisonabschluss. Sprich: gute Stimmung, auch bei miesem Wetter. Auf Letzterem muss man nicht länger herumreiten: für die Renntage war es schön angesagt und es hielt, was es versprach.
Meine persönlichen Ziele für das Rennen waren dreierlei: 1. Finishen, 2. beim Schwimmen nicht wieder mit einer Asthma- / Panickattacke zu tun zu haben (denn das ist offenbar mein neues "Ding"... ausgerechnet in "meiner" Disziplin, nicht gut fürs Ego...) und 3. generell nicht wieder nur mit emotionalem Müll zu kämpfen, sondern so präsent zu sein, wie es nur ginge. Alles andere wäre Bonus.
Mir ist bewusst, dass mich die folgende Aussage nicht gerade ins beste Licht rückt, doch ich bin noch nie einen Ironman so entspannt angegangen, so locker geschwommen. Ich wusste: wenn ich zu schnell starte, habe ich wieder meine Probleme. Das wollte ich nicht, also war es eine sehr entspannte Schwimmstrecke (bis mir nach etwa 2km der Pulsgurt verrutschte und ich ob des stechenden Reibens auf der Brust kurzfristig dachte, ich hätte nun auch noch einen Herzinfarkt...) und ich kam nach immer noch guten 55min aus dem Wasser.
Auf dem Rad dann war es simpel: fahren, wie es geht, ernähren, was immer geht und sich gut anfühlt. Bis km 150 ging die Strategie perfekt auf.
Dann lag auf einmal etwas Sand in einer Kurve, die man mit gut 40 km/h schneiden konnte. Noch während ich realisierte, dass mein Hinterrad wegbrach, lag ich schon da und knallte mit der vollen Länge auf den italienischen Asphalt.
Dazu kann ich nun entweder viele Worte verlieren oder nur die nötigsten: in 24 Jahren Triathlon hat es mich noch nie so heftig auf die Strasse geschmiert. Das tat (und tut) weh, ich brauchte eine Weile, bis ich auch nur aufstehen und mich aus der Gefahrenzone schleppen konnte (denn es rasten ja immer weiter Athletinnen und Athleten an mir vorbei).
Irgendwie brauche ich nicht zu erwähnen, dass ich in dem Moment mit allem abgeschlossen habe. Sei vernünftig, das ist es nicht wert, du musst dich untersuchen lassen... was auch immer man in so Momenten denkt. Meine Mutter an der Strecke anzurufen und ihr mitzuteilen, was passiert war und dass ich das Rennen beenden würde, war das Nächste, zu dem ich mich ansatzweise im Stande sah.
Doch dann stand ich auf. Und als ich merkte, dass ich stehen konnte, ohne umzufallen und auch sah, dass mein Helm keinen Kratzer abbekommen hatte, ich also nicht auf dem Kopf gelandet war (zumindest nicht heute)... da fing es an zu arbeiten. Mir wurde bewusst, dass ich zum ersten Mal seit einer langen Zeit an niemand anderen denken musste als an mich... und ich war nicht gekommen, um zu parken.
Also stieg ich wieder auf, fuhr (etwas langsamer als zuvor) die restlichen 30km bis nach Cervia, stieg ab, zog meine Schuhe an und begab mich auf die Laufstrecke.
Ich blutete, meine Hand schmerzte, ALLES schmerzte und nach gut 7km war wohl auch das Adrenalin etwas draussen, denn da war Ende Gelände mit allem, was noch irgendwie "Tempo" hätte genannt werden können... aber ich zog durch. Und wie man sieht reichte es auch auf der dritten von vier Runden noch, um hin und wieder mit den Leuten an der Strecke herumzublödeln, zu interagieren, das Ganze irgendwie zu geniessen.
Und wie sie an der Strecke waren! Auch die, die am nächsten Tag ein Rennen hatten - gerade die - waren immer und immer wieder da, feuerten mich an, motivierten mich. Patrick, mein lieber Freund und Businesspartner, der am kommenden Tag seine erste Profi-Saison abschliessen würde (mit einer neuen Bestzeit und einem absolut beeindruckenden Auftritt, das will ich hier nicht unerwähnt lassen - nachlesen könnt ihr es auf seiner eigenen Website www.swisstriathlet.ch), an vorderster Front: er war derjenige, der mich auf den letzten 3,5km noch laut anschrie und meinte: "Ich will die 9 vorne sehen!".
Ich hatte nie auf die Uhr gesehen und wusste zu dem Zeitpuntk nicht, wie ich unterwegs war und was am Ende drin sein würde. Das zu hören, mobilisierte meine letzten Reserven, denn natürlich: wenn noch eine Sub-10 Zeit möglich wäre...
Diese letzten Kilometer mit knappen 13 km/h fühlten sich an wie ein Sprint mit doppelt so viel. Meine Beine brannten, meine Lunge brannte, mein Puls schoss in die Höhe, mir war übel... aber die Uhr blieb für mich an diesem Tag nach 9:57 Stunden stehen.
Und das war meine Saison 2024.
Meine Ziele hatte ich erreicht: ich hatte keine Asthma-Attacke im Wasser, ich hatte die Ziellinie überquert und obwohl ich vor allem nach meinem Sturz vermutlich Grund gehabt hätte, mir selbst leid zu tun, hatte ich während dem Rennen kaum einen negativen Gedanken. Stattdessen fühlte ich mich... unaufhaltbar. Ich war nicht schnell. Mein Chassis war verbogen, mein Tank leer, alle Alarmleuchten blinkten und die Steuerung schlackerte, aber ich will verdammt sein, wenn das nicht eins meiner absolut besten Rennen war, die ich je erleben durfte. Es war, als hätte der Crash einen Reset-Knopf gedrückt und mich auf Werkseinstellungen zurückgesetzt. Ich war wieder... ich?
Und am Tag darauf wurde das tatsächlich noch getoppt. 9 unserer Athletinnen und Athleten nahmen die Mitteldistanz in Angriff, alle kamen ins Ziel, alle übertrafen sich selber. Auch als Coach war das Wochenende in Cervia etwas, das ich so noch nie erlebt hatte und das mich mit tiefer, tiefer Dankbarkeit erfüllt.
Heute, eine Woche später, weiss ich, dass nichts gebrochen ist. Meine Hand schwillt ab und tut nur noch weh, das Loch in meinem Knie wird kleiner. Zwar merke ich deutlich, dass ich gerade eine dreifache Schicht fahre und sich mein Körper nicht nur von einem Sturz, sondern auch von guten 10 Stunden Ironman-Schinderei erholen muss und mein Immunsystem gleichzeitig noch den Herbstanfang erlebt. Es wird also eine Weile brauchen, bis ich wieder voll Einsatzbereit bin, aber wenn es so weit ist, weiss ich, was kommt. Und ich freue mich darauf!
Wie endet man so etwas?
Ich bin erfüllt von Dankbarkeit und noch immer so unendlich stolz auf alle unserer Athletinnen und Athleten, dass ich es schwer oder eben gar nicht wirklich in Worte fassen kann. Darum versuche ich, das kollektiv zu machen.
First things first: meine Mutter Martina, die unzerstörbare Supporterin. Es ist jetzt gut 24 Jahre her, seit dieser Nonsens angefangen hat. Es ist kein Ende in Sicht und ich bin nach wie vor sehr dankbar, dass du das alles mitmachst und mich unermüdlich unterstützt. Ich sage dir das viel zu selten (und werde auch nicht damit anfangen, ich hab´genug damit zu tun, dich beim Einkaufen von der Fleischtheke fernzuhalten. Ernsthaft, ich würd´die Feuerwehr gerne aus der Schnellwahl löschen). Schriftlich heute: Danke!
Gabi, Almen, Martin: wir waren am Samstag zusammen auf der Strecke und von Pech bis Glück erlebten wir alles. Euch am Start, auf (und leider an) der Strecke zu begegnen, den Tag mit euch zu erleben - ich hatte viele Gründe, NICHT aufzugeben und ihr wart 3 davon.
Alphabetisch und dann dem Alter nach:
Nadi
Riana
Fabio
Meik
Urs
Ruedi
Mirko
Bernhard
Ich bin wahnsinnig stolz auf euch! Ob als euer Coach oder als Teil der Tricademy-Familie: es war ein einziges Fest, euch auf der Strecke zu sehen, euch anfeuern zu dürfen und am Ende im Ziel mit euch zu feiern! Ich könnte über alle von euch Seiten schreiben und vielleicht mache ich das auch mal, doch für den Moment: Ihr seid fantastische Menschen, Athletinnen und Athleten und der Grund, weshalb ich meinen Job auch nach bald 20 Jahren von Tag zu Tag mehr liebe. Danke für alles und herzliche Gratulation zu eurem fantastischen Rennen!
Und natürlich auch unseren König der Supporter, Manuel aka "Big Tony" höchstselbst: mit dir an der Atrecke fliegt man (nicht nur auf die Fresse, sondern auch ins Ziel). Danke für eine unermüdliche Energie, dein Anfeuern, deine Leidenschaft!
Und schliesslich: Patrick!
Dachtest schon, ich hätte dich wieder vergessen? So rein aus Tradition und so? Diesmal nicht, aber der Aufhänger war zu gut.
Nein, da musst du jetzt durch, denn ich weiss, wie gerne du liest: Ich danke dir von Herzen. Für alles. Ohne dich wäre die Tricademy niemals das, was sie heute ist und es vergeht kein Tag, an dem ich nicht dankbar für den Weg bin, den wir gemeinsam gehen. Ich habe mich riesig gefreut, dich an der Strecke zu sehen und natürlich auch, dich am Sonntag anfeuern zu dürfen. Du bist eine Inspiration als Athlet, Coach Mensch und Freund und im Ziel auf unsere Athletinnen und Athleten zu warten, zu feiern und das Weekend zu beschliessen: das war ohne Übertreiben einer der besten Momente in 24 Jahren Triathlon. Ich freue mich auf die nächsten!
So. Das war´s. Wenn ihr bis hier durchgehalten habt: danke fürs Lesen. Wenn nicht: tja...
Oldboy out. Ich muss meine Gelenke schonen.
Herzlichst,
Fabian
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