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The world is wide. Swim it. Ride it. Run it.

AutorenbildFabian Kremser

Teufelskreise

Dass "früher alles besser" war ist so alt wie die Didaktik selbst. Bereits der griechische Philosoph Platon beschwerte sich über den Verfall der Jugend und so gesehen kann sich niemand über den Verfall von Traditionen beschweren.

Der generelle Konsens scheint derzeit noch immer der zu sein, dass die nachfolgenden Generationen nichts mehr taugen, keine Disziplin mehr an den Tag legen und grundsätzlich zu faul sind, um zu arbeiten, zu lernen oder sich sonst wie in irgend einer Weise nutzbringend zu betätigen (Der letzte Punkt ist meiner Meinung nach Streitgegenstand, da er gerne implementiert, dass sich der jeweilige Veräusserer dieser Ansicht zu einem direkten Nutzen anderer Menschen Arbeit berechtigt sieht - doch das gehört gerade nicht hier her).


Es liegt mir fern, polemisch in das gleiche Horn zu stossen, doch komme ich nicht umhin, ähnliche Tendenzen in mir zu bemerken, wenn ich mich für einmal nicht abschotte, sondern offenen Ohres durch die Welt gehe. Nur stelle ich mir da gerne die Frage: was, wenn die Jugendlichen gar nicht anders können? Ist es wirklich ihre Schuld? Sind sie wirklich faul, unbegabt, taub und zur Dummheit verdammt?

Ich muss hier etwas ausholen. Das Mobiltelefon kam vor etwa zwanzig Jahren in mein Leben, nachdem ich in meinem ersten Jahr als Triathlet auch meinen ersten Unfall hatte. Mir wurde auf dem Radweg von einem Auto die Vorfahrt genommen, was in einem Salto über die entsprechende Motorhaube und einem Totalschaden bei meinem geliebten Fahrrad resultierte. Ich verletzte dabei nur meinen Stolz, doch entschied meine Mutter darauf hin, dass ich fortan zumindest die Möglichkeit haben sollte, mich von meinen immer länger andauernden Radtrainings zu melden. So bekam ich mein erstes Handy und wenn ich zurückdenke muss ich sagen, dass das damals noch eine echte Herausforderung war. Ich konnte telefonieren und Nachrichten verschicken - über eine Nummernerkennung verfügte das Gerät jedoch noch nicht und ich musste mir merken, welche Zahlen zu welchem meiner Bekannten und Freunde gehörten.

Ein kleiner Zeitsprung: heute besitzt grob gesagt jeder Jugendliche in meinem damaligen Alter von 15 Jahren ein Gerät, mit welchem er zwar telefonieren kann, welches unterm Strich jedoch um ein vielfaches Leistungsfähiger ist als die Computer, welche den Menschen zum Mond und wieder zurück brachten.

Mehrere Generationen wachsen bereits auf mit einem Zugang zu Highspeed-Internet, täglich, rund um die Uhr. Nimmt man den daraus entstehenden Schwall an dauernder Information und mischt ihn mit der einem Teenager angeborenen Neugier, kommt man schnell zu einem Punkt, an dem man merkt: die meisten Zehn- bis Zwölfjährigen haben in ihren jungen Jahren bereits mehr Pornografie konsumiert als unsere Vorfahren bis ins dritte Glied zusammen, sind gewandt in einer Schriftsprache, die für viele Erwachsene kaum mehr zu entziffern ist und werfen mit Hashtags und Fotos von ihrem Essen um sich, dass es an ein Wunder grenzt, dass der Äther nicht durchgehend nach Junkfood und Falafel riecht. Lol.

Das tragische an der ganzen Sache ist: viele sind sich dieses grässlichen Zustandes bewusst, doch dagegen getan wird nichts. Wie auch - so weit verbreitete und normalisierte Dinge lassen sich kaum mehr aus dem Strom der Zeit entfernen. Ab und an versichern uns literarisch hochstehende Zeitungen wie die unzähligen Gratisblätter (welche, man ahnt es, ebenfalls wieder zu einem grossen Prozentsatz über die mobilen Telefone konsumiert werden) zwar, dass es ganz klare Statistiken gibt welche zeigen, dass sich die jungen Leute von heute mehr alte Werte wünschen, doch mal ehrlich: was heisst das schon? Vor beispielsweise achthundert Jahren war es völlig normal, dass Frauen kein Wahlrecht hatten, nach der Heirat als Besitz ihrer Ehemänner galten (und davor als der ihres Vaters) und dass man vermeintliche Hexen beiderlei Geschlecht, jedoch vorzugsweise abermals weibliche, zur allgemeinen Erheiterung auf dem Scheiterhaufen verbrannte. Nennt mich einen absoluten Zukunftsfreak und Freigeist, aber so etwas brauche ich nun wirklich nicht nochmal...

Doch ich schweife ab. Statistiken sind etwas nettes, doch sollte man sich niemals nur eine zu Gemüte führen. Es ist in etwa so, als würde man anderen seine liebsten Bibelverse um die Ohren knallen um seine Handlungen zu rechtfertigen, es jedoch als Extremismus abtun wenn einem dargelegt wird, dass man im gleichen Moment eigentlich dem Tod geweiht wäre, weil man Kleidung aus unterschiedlichen Fasern trägt. Denn: dass sich viele junge Leute im Grunde nach einem Alltag sehnen, der von wesentlich weniger emotionalem Stress geprägt ist, kann ich mir persönlich gut vorstellen.

Wie kann es denn auch nur einen Jugendlichen geben, der es gerne hat, von einem Arzt als Ritalin-Kandidat eingestuft und behandelt zu werden? So habe ich noch nie einen Teenager gesehen, der mir mit Stolz davon berichtet hat, dass er sich seit zwei Monaten sein Insulin gegen seine vorgezogene Altersdiabetes selbst spritzen darf. Auch bin ich noch niemandem begegnet der ein T-Shirt trug mit der Aufschrift "Keep calm and take Ritaline". Und doch steigen gerade diese Zahlen markant.

Vielleicht liegt es ja gar nicht an den Jugendlichen? Denn mal ganz ehrlich: auch wenn wir ihnen gerne weis machen, dass wir sie zu selbstständigem Denken erziehen wollen, so tun wir doch im Grunde das genaue Gegenteil. Es ist festgelegt, was ein Teenager zu lernen hat, wie er es zu lernen hat, und wann er ein "guter Schüler" ist. Es gibt zwar nichts schriftliches, doch "gesellschaftskonform" ist man in der Regel dann, wenn man nicht auffällt.

ADS, ADHS, Schlafstörungen, Diabetes, Allergien… all das waren bis vor einiger Zeit Dinge, die es entweder schlicht nicht gab oder aber welche den älteren Leuten vorbehalten waren. Unterdessen gibt es ganze Sonderklassen von Ritalinschluckern und solchen, die sich nicht konzentrieren können. Und ich frage mich einmal mehr: ist das wirklich deren Schuld?

Ein guter Freund und Sozialpädagoge erzählte mir vor einiger Zeit, dass er von etwa sechzig Jugendlichen bestätigt bekam, dass alle - ALLE - ihr Telefon rund um die Uhr angeschaltet hatten. Auch nachts. Wie sollten sie denn sonst auf Nachrichten antworten, die um zwei Uhr morgens ankamen? Der durchschnittliche Jugendliche verschickt heute mehrere Whatsapp-Nachrichten, bevor er auch nur einem menschlichen Wesen direkt "guten Morgen" sagt. Ist es da wirklich ein Wunder, dass so viele Teenager an Schlafstörungen leiden?

Doch es geht noch weiter. Da man unausgeschlafen und todmüde seine Reise in die Schule antreten muss, sucht man nach etwas, das einen aufweckt, und da suggeriert uns die Werbung (die man, einmal mehr, unterdessen 24 Stunden in der Tasche hat) die Lösung des Problems durch Energy-Drinks, welche einem mindestens Flügel verleihen sollen. Also ab an den Kiosk und ein, zwei davon in die Figur geschraubt! Vielleicht sogar drei, denn das Zeug "wirkt ja nicht!"

Man weiss unterdessen, dass es eine ganze Weile dauert, bis der Körper so viel raffinierten Zucker im System verbreitet hat. Auf jeden Fall könnte man mutmassen, dass der Schock genau dann "einfährt", wenn man die erste Schulstunde erlebt, und wer schon mal auf dem roten Bullen geritten ist, wird wissen: mit still sitzen und Konzentration ist es da nicht mehr weit her. Natürlich lässt diese Wirkung irgendwann einmal nach, weshalb man sich dann gleich die nächste Dosis gönnt.

Von der Wirkung der doch eher als einseitig zu bezeichnenden Diät vieler Jugendlicher mal ganz abgesehen weiss man auch in der Medizin schon lange, was solche Mengen an Zucker in einem Körper auslösen können, vom Koffein ganz zu schweigen. Was der Lehrer, der Schulleiter und dann vielleicht auch der Arzt jedoch sieht, sind die Symptome: fehlende Konzentration, Übermüdung, Stress. Dem Himmel sei Dank gibt es die Medizin, denn gegen jedes dieser Symptome gibt es natürlich Mittelchen und Wege. Dass diese dann ebenfalls wieder Nebenwirkungen haben, sei hier ausser Acht gelassen.

Nun sind sie also voller Zucker, verbrennen diesen aber durch die Medikamentös induzierte Lethargie erst recht nicht mehr. Also nehmen sie zuerst zu - und dann die nächsten Medikamente, diesmal gegen die immer stärker werdende Diabetes.

Können unsere Jugendlichen wirklich etwas dafür dass sie sind, wie sie sind?

Die Moral von diesem Schrieb? Vielleicht gibt es die nicht. Ich habe weder Kinder noch will ich mir - völlig entgegen meiner gestrigen Behauptung - anmassen zu wissen, wie man welche erzieht. Doch vielleicht wäre es auch beim Thema "Jugend" zwischenzeitlich einmal ganz nützlich, nicht die Wirkung zu betrachten, sondern die Ursache?

Ich behaupte nicht, dass Computer, Fernsehen und Smartphones die Wurzel allen Übels sind. Oder Junkfood, Selecta-Automaten und Energydrinks. Auch sage ich nicht, dass es heute keine Erziehung mehr gibt. Doch ich wage zu behaupten, dass wir in unserer Gesellschaft weniger und weniger Bereitschaft zeigen, Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung für unsere Gesundheit, für unseren Alltag - Verantwortung für unsere Hoffnungsträger, unsere Jugendlichen. Vielleicht könnten wir darüber einmal nachdenken?

Herzlich,

Fabian


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