Sprechen wir über Veränderung und Entwicklung kommen wir früher oder später unweigerlich auf das Thema der eigenen Stärken und Schwächen zu sprechen. Doch... was ist das überhaupt?
Ganz gemäss dem Zeitgeist von 2020 und 2021 könnte man hier natürlich sagen: kein Mensch hat wirkliche Schwächen und man sollte sich nicht mit solchen negativen Dingen beschäftigen. Doch bevor ich hier wieder in den Zynismus abdrifte: Darum geht es nicht.
In meinem beruf darf ich immer wieder Menschen dabei helfen, positive Veränderungen in ihrem Leben herbeizuführen. Es wäre schön, wenn sich in den letzten Jahren dadurch eine Art Patentrezept ergeben hätte, doch Fehlanzeige. So individuell wie der Mensch als Wesen ist, so einzigartig sind seine Wege. Was ich, da bin ich ehrlich, absolut fantastisch und wundervoll finde. In meinen Augen wäre es tragisch, wenn wir bei jedem Problemchen, das sich uns in den Weg stellt, sozusagen den Softwarefehler finden und anschliessend ein neues Programm installieren könnten. Die Schulmedizin versucht das zwar, doch unterm Strich klappt es nicht wirklich.
Was uns an den Punkt bringt, an dem immer mehr Menschen für sich erkennen, dass sie das absolute Recht darauf haben, glücklich zu sein und ein Leben zu führen, dass sie selbst bestimmen und auch führen wollen. Wir brauchen uns gar nicht in Themen wie "Hamsterrad", "Schuldenfalle" oder solche Dinge zu stürzen. Wichtig ist vielmehr: wenn wir den ersten Schritt getan haben...
...ja. Was dann? Dann kommen wir meist nicht viel weiter, fallen sofort in alte Muster zurück und sehen uns und auch das ganze Umfeld bestätigt, was uns entsprechendes prophezeit hat. Siehst du? Du kannst es halt einfach wirklich nicht. Schuster, bleib bei deinen Leisten.
Das ist Käse. Ich hatte eigentlich ein anderes Wort im Sinn, doch ich denke, ihr versteht, was ich meine. Ganz zuvorderst steht hier dieses Schwarmverhalten, das demjenigen von Krebsen in einem Kessel ähnelt: wenn sich einer davon aufmacht, die Wand hinauf in Richtung Freiheit zu klettern, werden ihn die anderen packen und wieder nach unten ziehen.
Das ist Haargenau das, was wir teils mit Menschen tun, die sich langsam, aber sicher von ihrem Umfeld emanzipieren. "Wenn ich es nicht haben kann, kannst du das auch nicht". Es tut mir jedes Mal wieder weh, wenn ich solche Dinge mitbekomme. Erst recht, wenn sich einmal mehr herausstellt, dass es am Ende das engste Umfeld ist, das sich auf diese Weise verhält. Denn wie soll man sich gegen so etwas wehren? Wie soll man sich loslösen, aus dem Eimer klettern, wenn man zu allem hinzu noch vor den Latz geknallt bekommt, dass "die Familie am Ende eben die Familie ist und über allem steht"?
Schwer. Sehr schwer. Zumal nicht alle gleich gut auf den Vorschlag reagieren würden, der eigenen Familie halt einfach mal den Rücken zuzukehren. "Das kann man doch nicht machen! Das... das ist doch die FAMILIE!" (Überraschung: Doch, man kann. Und man darf. Aber das ist ein weiter Weg und um das geht es hier derzeit nicht).
Hier braucht es die eigenen Stärken und es ist wichtig, dass wir uns ihrer immer wieder einmal bewusst werden. Denn oft haben wir welche, die uns völlig überraschen. In der Populärkultur wird "Stärke" eigentlich immer nur auf eine Handvoll von Arten dargestellt: Da ist die körperliche Stärke (also MUSKELN!), die mentale Stärke, die Stärke durch Zusammenhalt (hier kommt dann gerne die FAMILIE! auf den Plan). Aber... war's das schon?
Die Konzentration aufzubringen, beispielsweise einen perfekten Origami-Kranich zu falten, ist eine absolute Stärke. Die Fähigkeit, eine Woche von A bis Z durchzuplanen eine weitere. Essen vorkochen, die eigene Wohnung in Ordnung halten, eine einfache Routine im Alltag zu befolgen... das sind alles Stärken, die in vielen von uns schlummern, ohne dass wir ihrer jemals bewusst werden.
Als ich mich Ende 2019 an den Tisch setzte mit einem leeren Buch vor und einem Entschluss in mir, war das der erste Schritt. Ich fragte mich, was ich denn gut konnte - und vor allem, was mir in meiner damaligen Situation leicht fallen würde. Die Antwort war: früh aufstehen. Kann ich gut. Dann regelmässig eine halbe Stunde laufen. Kann ich auch. Ich kann mir einen Tagesplan erstellen und ihn befolgen. Und ich kann jeden Abend zurückblicken und mich fragen, ob ich alles getan hatte, so, wie ich es mir vorgenommen hatte. Manchmal war die Antwort Ja. Manchmal Nein. Manchmal "teilweise".
Wichtig war, DASS ich etwas tat. Und das kann ich nur allen empfehlen, die in ihrem Leben etwas verändern wollen: Hört auf, euch selbst zu betrügen. Konzentriert euch auf die kleinsten, unauffälligsten Stärken. Und dann nutzt sie, um aus dem Eimer zu klettern. Die Aussicht vom Rand alleine ist toll!
Herzlich,
Fabian
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