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The world is wide. Swim it. Ride it. Run it.

AutorenbildFabian Kremser

Sonntag

But you see, it's not me

It's not my family

In your head, in your head, they are fighting

With their tanks and their bombs

And their bombs and their guns

In your head, in your head, they are crying


The Cranberries - "Zombie"

Wann ist Geschichte "Geschichte"? Wie unterscheiden wir zwischen Dingen, die uns betreffen und solchen, die uns nichts angehen? Ist es die räumliche Distanz, die uns Ereignisse mit einem Schulterzucken abtun lässt, oder emotionale?


Heute jährt sich der "Bloody Sunday" zum 50. Mal. Wer weiss heute noch, was es damit auf sich hat? Da ich gerne Gespräche führe, habe ich heute ein wenig nachgefragt. Und siehe da: auch unter denen, die damals schon auf der Welt waren, kam nicht selten "Ach… ja, da war was… Irland, oder?"


Vor 50 Jahren, das war 1972. Und zugegeben, gerade in Deutschland hatte man damals eigene Probleme. Überhaupt waren die 70er des letzten Jahrhunderts eine Art "goldenes Zeitalter" der Terror-Milizen, wenn man so darüber nachdenkt. Wenn man noch einen Schritt weiter geht, könnte man sich zu fragen anfangen, weshalb wir heute mehr Angst vor einem weit entfernten "Feind" wie dem islamischen Staat haben als vor Dingen, die sich mehr oder weniger direkt vor der eigenen Haustür ereignen, doch das gehört heute nicht hierher.


Was war der "Bloody Sunday"?


Dazu muss man wissen, was es mit dem sogenannten "Nordirlandkonflikt" auf sich hat. Präsenz, nicht Vergangenheit.


1921, also unterdessen mehr als 100 Jahre zuvor, endete der Irische Unabhängigkeitskrieg. Dabei war es um, nun, die Unabhängigkeit von der Englischen Krone gegangen, ein Konfliktherd, der sich in den letzten Jahrhunderten auf der ganzen Welt immer wieder einmal entzündet hatte. Dieser hier fand sozusagen vor der eigenen Haustüre statt, die kleine Insel lehnte sich gegen den grösseren Nachbarn auf.

Was schon lange gebrodelt hatte, kochte, vereinfacht ausgedrückt, 1916 am sogenannten "Osteraufstand" auf. Es gab Gewalt, die paramilitärische Untergrundarmee "IRA" wurde immer aktiver und Namen wie Michael Collins und Eamon DeValera gingen noch zu Lebzeiten in die Geschichte ein. 1921 wurde dann die heutige Republik Irland als unabhängiger Staat gegründet. Der Norden des Landes, wo viele Nachkommen Englischer und Schottischer Siedler lebten, machte dies jedoch nicht mit, was dazu führte, dass es ab sofort zwei Irlands (sagt man das so?) gab: die Republik als unabhängiger Staat und Nordirland, nach wie vor ans vereinigte Königreich angeschlossen. Grösster Keil zwischen den beiden Ländern: die Religion. Im Norden waren sie Protestanten, im Süden Katholiken. Beide Seiten handelten im Namen ihres Gottes und im Namen der Religion der Liebe – und unter dieser Flagge begann ein Konflikt, der in regelmässigen Abständen immer wieder einmal aufflammte.


Bombenattentate, Schiessereien in den Strassen. Über Jahrzehnte hinweg wehrten sich die Iren beider Länder auf die eine oder andere Art, Gewalt war jedoch der gemeinsame Nenner. Was natürlich auch zivile Opfer forderte.


Ab 1971 forcierte die Britische Regierung in Nordirland dann etwas, was als "Internment-Politik" bezeichnet wurde: unter ihr war es der Exekutive möglich, vor allem Katholiken ohne nennenswerte Gründe zu internieren. Das brachte die Menschen auf die Strasse und am 30. Januar 1972 kam es dazu, dass 30 Fallschirmjäger der Britischen Armee das Feuer auf Demonstrantinnen und Demonstranten eröffneten, die gegen eben jenes Internment auf der Strasse protestierten. Wer zuerst geschossen hat, wissen heute vielleicht höchstens noch die, welche damals mit dabei waren. Dass die Armee jedoch in Notwehr gehandelt hat, dürfte unterdessen widerlegt sein, da mehrere der Opfer von hinten erschossen wurden.

Als die Ereignisse bekannt waren, stürmte eine wütende Menge die britische Botschaft in Dublin und brannte sie bis auf die Grundmauern nieder.


50 Jahre später ist noch immer nicht klar, was damals wirklich geschah. Oder besser: was geschah, ist bekannt, doch wurde dermassen viel verschleiert, unter den Teppich gekehrt und verdreht, dass auch 5 Jahrzehnte später nicht klar ist, wer, was, wem… Fakt ist, dass vor 10 Jahren der damalige, britische Premierminister David Cameron offiziell im Namen der Regierung um Verzeihung für die tödlichen Schüsse bat.


Und heute?


Am Karfreitag 1998 wurde beschlossen, dass die IRA die bewaffneten Auseinandersetzungen vorerst beenden würde. Vorerst, denn seit dem Brexit ist wieder alles andere als klar, ob die Stabilität dieses Abkommens beibehalten werden kann.


Warum schreibe ich darüber? Geht mich das denn irgendwas an?


Nun… wir sind nicht in Amerika und bisher hat mich niemand der "Cultural Appropriation" bezichtigt, auch nicht, wenn ich Irische Volkslieder spiele und singe. Die sich ja doch das eine oder andere Mal mit dem Konflikt befassen. Doch gerade DA ich diese Musik sehr mag und mein Repertoire einen grossen Umfang an eben diesen Liedern hat, und DA ich der Meinung bin, dass man sich mit den Liedern, die man singt, auch befassen sollte, sind mir all diese Dinge alles andere als egal. Zumal ich der Meinung bin, dass sich Geschichte nicht einfach mit einem Schulterzucken abtun lässt. Und dass der Teil mit dem "sich erinnern" auch von jenen übernommen werden sollte, die nicht direkt betroffen sind. Ansonsten wird die Folklore wieder einmal Programm:


An eye for an eye, that was all that filled their minds

And another eye for another eye – 'til everyone is blind


Tommy Sands - "There were roses"


Herzlich,

Fabian


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