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The world is wide. Swim it. Ride it. Run it.

  • AutorenbildFabian Kremser

Erwartungen

Dass ich auf gewisse Dinge sehr sensibel reagiere ist für mich und einige Menschen in meinem Umfeld nichts Neues. In letzter Zeit habe ich mich oft gefragt, weshalb das so ist.

Ich kam nie besonders gut damit zurecht, wenn von mir Dinge erwartet wurden, die sich nicht richtig anfühlten. Wer kennt es nicht? Aus irgendeinem Grund findet man sich auf einmal in einer Situation, in der man auf eine bestimmte Art und Weise handeln muss, um: nicht negativ aufzufallen, anderen zu gefallen, der Gesellschaft zu genügen...

Ich rede hier nicht von Dingen wie der Schulpflicht, die sich zwar zu der Zeit, in der man sie zu erfüllen hat, oft wie eine Bestrafung anfühlt, gleichzeitig aber meistens ein Privileg ist. Auch spreche ich nicht von Dingen wie Steuern, dem Befolgen von Gesetzen und Regeln. Natürlich ist eine generelle Erwartungshaltung da, dass ich beispielsweise nicht über rote Ampeln fahre, meine Rechnungen pünktlich bezahle und so weiter. Doch das meine ich nicht.


Nein, ich spreche von Erwartungen, die von aussen an uns Menschen herankommen und mit denen wir uns auf einmal einfach konfrontiert sehen. Oft von Personen oder in Situationen, in denen es uns komplett überrascht.


Konkret beschäftigt mich schon eine ganze Weile, dass es offenbar soziale Erwartungen darüber gibt, wie ein Leben - auch mein Leben - auszusehen hat. Etwas überspitzt: Geburt, Kindergarten, Schule, Berufslehre oder Gymnasium. Dann darf man ein Jahr lang "jung und wild" sein (sprich, man darf drei Monate nach Neuseeland, Australien oder sonst ein Land gehen, in dem die Gesellschaftsstruktur gerade so anders ist, dass man es unterschwellig bemerkt, jedoch nicht so sehr, als dass es einen zum Nachdenken anregt), danach wird entweder sofort eine Arbeitsstelle angetreten oder aber erst das Studium absolviert und DANN mit der Arbeit begonnen, allerdings bitte mit einer Lohnsumme, welche die zusätzlichen Jahre der Schulbank nicht wie eine Verschwendung aussehen lassen. Parallel dazu: Partnerschaft, die erste eigene Wohnung, Heirat, Kinder, Eigenheim oder Haus. Urlaub im Sommer und im Winter. Später dann: Pensionierung, Rente, "den Lebensabend geniessen". Enkel (da die eigenen Kinder ja das gleiche Schema durchlaufen), Alterswohnheim, Exodus. An der Beerdigung werden rührende Worte gesprochen wie "er war ein guter Vater und Familienmensch" und irgend ein realitätsfremder Pfaffe segnet die ganze Sippe. Danach geht man in die nächste Gastwirtschaft, lässt sich zu Ehren und auf Kosten von der gerade verabschiedeten Person volllaufen, geht nach Hause und fügt sich selbst wieder in den ewigen Kreis ein.


Auch ich war schon an Beerdigungen. Teils von guten Freunden, die auf tragische Weise aus dem Leben geschieden waren, teils von älteren Menschen, die auf ein langes Leben zurückblicken konnten. Mehr als einmal habe ich mich gefragt: warum wird da nie über das Leben der Person selbst gesprochen? Warum hört man in den Nachreden nie: "Sie heiratete nie, tat was ihr gerade in den Sinn kam, eröffnete mit 42 Jahren eine Tiki-Bar auf den Kanarischen Inseln und verbrachte zehn glückliche Jahre damit, Alkohol auszuschenken und zu surfen. Dann zog sie weiter nach Schottland um eine späte Ausbildung zur Torfstecherin zu machen, lernte ausserdem das Schnapsbrennen in ihrer Garage und starb mit 76 Jahren an einer Methanolvergiftung direkt neben ihrem Brennkolben"?


Ich für mein Teil würde so ein Leben feiern. Nicht, weil es für mich erstrebenswert wäre, doch weil es nach einem Leben klingt, in dem die Erfüllung desselben oberste Priorität hatte. Glücklich sein, das zu tun, was man möchte, was einen interessiert und begeistert. Kann es eine grössere Ode an die Freude geben als das?


Stattdessen kann ich mir denken, wie so eine Abdankung aussähe. Klein, im Stillen. Ja nicht auffallen. Eine Anzeige in der lokalen Zeitung. "Sie schied durch einen tragischen Unfall zu früh aus dem Leben".

Das kann man auch von jedem Basejumper behaupten, der sich selbst meistbietend über die Klippen oberhalb von Interlaken verteilt. Ich bin jetzt mal so frech und stelle die Behauptung auf, dass dieser Satz eigentlich bedeutet, dass sich die Person der Meinung der Hinterbliebenen nach verabschiedete, bevor sie die Erwartungen anderer erfüllt hatte...


Ich bin 35 und habe erst eine vage Idee, was ich in meinem Leben will. Ganz einfach aus dem Grund, dass ich bisher immer das getan habe, was ich gerade wollte - in den meisten Fällen. Ich wollte Profisportler werden, ich wollte Coach werden, ich wollte eine eigene Firma haben, ich wollte und will in dieser Firma arbeiten, ich will wieder zurück in den Profisport. Ich will an einem Ort leben, an dem ich mich zuhause fühle, an dem ich mich in den Hügeln und Wäldern wohl fühle, an dem ich morgens gerne aufstehe und abends gerne ins Bett gehe.


Ich will hingegen NICHT irgend etwas tun, weil "man es eben so macht". Jedes einzelne Mal, wenn ich in solche Bahnen geriet, wurde es zu einer epischen, emotionalen Katastrophe für mich persönlich. Und wenn ich in den letzten Jahren etwas gelernt habe, dann ist es Folgendes: ich muss nicht nur. Ich darf auch.


Herzlich,

Fabian


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