Eines möchte ich voraus schicken: es ging mir schon mal besser. Ich kuriere eine widerlich hartnäckige Erkältung aus was konkret bedeutet, dass mein Training derzeit vor allem im Kopf stattfindet. Irgendwo muss die Energie aber raus. Ein nettes Bild gibt's auch dazu.
Dass sich um den Alltag eines Profisportlers gerne einmal Mythen und Legenden ranken, ist kein Geheimnis. Auch nicht, dass die Betroffenen alles Mögliche tun, um diesen Status Quo zu erhalten. Derzeit bin ich noch - wieder - auf dem Weg dorthin, doch wenn ich so zurückdenke war das bei mir damals kein Bisschen anders. Herrje, wie das schon klingt… damals. Und doch… gewisse Dinge beginnen bereits, so langsam aber sicher wieder ihren Platz in meinem Alltag zu finden. So zum Beispiel die absolute Unfähigkeit, auch nur ansatzweise rational mit enorm weltlichen Dingen wie eben einer banalen Erkältung umzugehen.
Fakt ist: kein Sport der Welt, keine Nahrungsergänzung, letzten Endes keine einzige Prophylaxe kann garantieren, dass man sich NICHT hin und wieder erkältet. Man kann sich noch so toll fühlen, einmal zum falschen Zeitpunkt mit nassen Haaren an die frische Luft, zack! Und man hat sie. Erst recht, wenn die Grippesaison Einzug hält und sich das Hallenbad, schon für sich nicht unbedingt ein Hort der Reinheit und der baren Hygiene, in einen Seuchenherd par Excellence verwandelt. Kurz und bündig, um der Wiederholung Willen: Ich bin ein klein wenig krank diese Tage und muss das Training anderen überlassen. Zeit also, mich anderweitig mit meinem Sport zu beschäftigen.
Zurück zum Anfang: ich freue mich ganz allgemein sehr über das Echo, das meine Ankündigung des Projekts „Profisport 2.0“ hervorrief und es ist für mich sehr schön zu sehen, dass ich ganz offensichtlich nicht der Einzige war, der erkannte, dass ich noch nicht fertig war mit dem Thema. Und auch wenn der Weg noch ein Weiter ist, finden sich hin und wieder bereits Dinge in meinem Alltag, an die ich mich von früher her noch sehr gut erinnere. Eines davon ist folgende Frage: „Ja, aber… gönnst du dir ab und an auch mal was?“.
Ich frage gerne mal zurück, was denn damit gemeint ist. Kommt keine Antwort, frage ich eben den Duden (für die Jüngeren: das war ein Buch, so ein Ding aus Papier, eingefasst in Karton, in dem man mehr oder minder jedes erdenkliche Wort der deutschen Sprache suchen und seine Bedeutung nachlesen konnte. Keine Siri, keine Alexa. War echt toll.) oder, der Einfachheit halber und ganz zeitgemäss, Google. Dort lerne ich Folgendes:
"gön·nen"
schwaches Verb
(jemandem etwas) neidlos zugestehen, weil man der Meinung ist, dass er es braucht oder es verdient hat: "jemandem sein Glück, den Erfolg gönnen"
sich etwas (Besonderes, etwas, was eine Ausnahme darstellt o. Ä.) erlauben, zubilligen "sich etwas [Gutes], einige Tage Ruhe, ein Glas Sekt gönnen"
Aha. Es geht also darum, sich oder jemand anderem etwas Gutes zu tun und weil das heute nicht mehr an der Tagesordnung ist, gibt's ein Wort, das dieser Handlung den Sonderstatus zugesteht. Gönnen. Na besten Dank auch. Ich weiss noch nicht, wie ich das finde, doch sehen wir erst mal weiter.
Offenbar geht mit der Idee eines Profisportlers schnell einmal das Bild des überweltlichen Asketen einher und ich muss zugeben, dass ich früher sehr viel dafür tat, um genau dieses Image aufrecht zu erhalten. Ich trank von November bis Oktober aus Prinzip keinen Alkohol, ass niemals auch nur ansatzweise Dinge wie Schokolade und dergleichen (dass ich auf dem Fahrrad und als „Carboloading“ wörtlich literweise Energydrinks in meine Figur pumpte, stand auf einem anderen Blatt), stand früh auf, ging früh zu Bett, richtete meinen gesamten Alltag auf das Training aus. Kurz: Ich war kein Mensch, mit dem ich mich selbst an einen Tisch hätte setzen wollen. Doch wie ist das heute?
Ich persönlich bin der Ansicht, dass ich mir sehr viel „gönne“. Sprich, ich tue Dinge, die mir selbst gut tun. Ich gönne mir zum Beispiel, oft früh ins Bett zu gehen. Ich gönne es mir, früh aufzustehen, viel zu arbeiten, viel zu trainieren, ausgewogen zu essen, gute Nahrungsergänzung zu mir zu nehmen. Ich gönne es mir, regelmässig zu stretchen, meine Gesundheit zu pflegen und sie gerne mal als eines der Wertvollsten Dinge anzusehen, die ich habe.
„Ja, aber… das ist ja nicht gemeint, mehr so… naja, sich halt mal was gönnen!“
Alles klar. Gemeint ist also, ob ich denn nie mehr Alkohol trinke, keine Süssgetränke mehr, ob ich keinen Fastfood mehr esse, lange aufbleibe, Parties besuche und so weiter. Nun… Alkohol, ja, wenn mir danach ist. Süssgetränke, ja, weniger, Fastfood ebenfalls eher selten, denn: ich hab’ nur einen Körper und hätte den gerne noch recht lange. Auch bin ich nicht mehr 15, unterdessen kommt mir nicht mehr alles unbesehen hinter die Binde. DAS gönne ich mir.
Ich versuche, möglichst auf Chemie in meinem Essen zu verzichten und bin auch eher darauf bedacht, die Medikamente im Schrank und für den Notfall zu belassen als dass ich mir mit Antibiotika gespicktes Billigfleisch antue. Produkte gewisser Konzerne umgehe ich wenn möglich und auch Plastikverpackungen finde ich ziemlich dämlich. Das gönne ich mir ebenfalls. Ich gönne mir auch, offen darüber zu sprechen.
„Ja, aber… da kannst du ja NICHTS mehr essen!"
Ich mache hier eine kleine Pause im Fluss und nehme für einen Moment die Perspektive des Coaches ein. Als solcher fallen mir zwei Dinge auf:
Erstens: Noch nie - wirklich nie - habe ich die Redewendung des „sich etwas gönnen“ in Bezug auf etwas gehört, das objektiv gesund gewesen wäre. Wirklich, wirklich nie. Stattdessen kommt sie mir immer wieder mit einer Mischung aus Schuldgefühlen, gequältem Bewusstsein ob der subjektiven, eigenen Unzufriedenheit und dem Wunsch nach, nun, eigentlich einem besseren Leben vor die Kimme.
Zweitens: Ich habe den Satz „man kann ja nichts mehr essen“ noch nie aus dem Mund eines Menschen gehört, der nicht das eine oder andere Problem mit seinem Körper, seiner Gesundheit, seinem Gewicht oder allen dreien gehabt hätte.
Während ich mir also die Zeit gönne, die mein Körper braucht, um wieder ganz gesund zu werden, mache ich mir so meine Gedanken. Natürlich ist ein wenig Mythos um die eigene Person etwas Nettes und ich kann mir auch ganz gut vorstellen dass gewisse Sportlerinnen und Sportler nicht unbedingt sonderlich erpicht darauf sind, dass Hinz und Kunz rund um die Uhr einsehen können was, wann, wo und wie sie trainieren. Doch ist es wirklich so, dass man jemanden, der das Privileg geniesst, seine absolute Leidenschaft zum tatsächlichen Beruf gemacht zu haben, als weltfremden Eremiten ansieht der jeder einzelnen irdischen Freude den Rücken gekehrt hat in der Hoffnung, dadurch noch ein weiteres, halbes Prozent an Leistung aus sich herauszuprügeln?
Und ist es wirklich notwendig, dass wir ein Wort, das ich persönlich durchaus positiv werte, nur in Zusammenhang mit Dingen, die uns letzten Endes aktiv schaden verwenden?
Ich persönlich möchte das nicht. Ich will nicht, dass mein Umfeld den Eindruck von mir hat, dass ich aufgrund meines Sportes nichts mehr geniessen kann. Für mich persönlich ist es vielmehr so, DASS der Sport für mich Genuss bedeutet. Ich finde es ehrlich schade, dass so unendlich viele Menschen ganz offensichtlich so sehr in einer Zwickmühle stecken, dass sie zwei Stunden Realitätsflucht mit absolut niedrigem, geistigem Anspruch als „Auszeit“ bezeichnen, die sie sich immer wieder mal „gönnen“. (Wobei ich es nicht lassen kann. Sollte man gemäss der oben genannten Definition von von "gönnen" sprechen, wenn es täglich...?)
Ich gehe noch weiter: Ich finde es ehrlich schade, dass offensichtlich so viele Menschen ein Leben führen, von dem sie in regelmässigen Abständen (so, alle acht Arbeitsstunden circa) eine Auszeit BRAUCHEN. Das ginge doch auch anders?
Dies als Gedanken an einem Mittwoch mit gewöhnungsbedürftigem Wetter.
Herzlich,
Fabian
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