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The world is wide. Swim it. Ride it. Run it.

  • AutorenbildFabian Kremser

Anfänge

Depressionen sind im Sport weit mehr verbreitet als man es vermuten würde. Es ist gut, dass wir unterdessen beginnen, darüber zu sprechen. Braucht es auch noch meinen Senf dazu?

Keine Ahnung, doch denke ich unterdessen, dass man nicht oft genug darüber sprechen kann. Schon dreimal nicht, wenn man in einem Prozess des Verarbeitens und Heilens ist. Wo fing alles an?


Es ist nicht etwa so, dass es eine Art Reichskristallnacht in meinem Leben gab, ein traumatisches Ereignis, einen bestimmten Punkt, an dem letzten Ende alles begann. Ich denke, da geht es mir wie vielen anderen auch. Auf einmal war es einfach da, dieses Gefühl, das sich nur ganz, ganz schwer in Worte fassen lässt. Nicht nur, weil es schwierig ist, darüber zu sprechen sondern auch, weil jede und jeder davon betroffene das am Ende wieder völlig anders wahrnimmt.


Leer. Haltlos. Wurzellos. Innerlich tot. Unwürdig, nicht liebenswert, unattraktiv, abscheulich, abstossend… nicht gut genug. Schlecht, unfit, unfähig. Ein Witz.


Begonnen hatte es allerdings eher subtil. Ich war umgezogen, zusammen mit meiner Freundin in ein altes, wunderbares Bauernhaus auf dem Lande. Wir hatten Monate investiert um die Bruchbude in eine wirklich schöne Wohnung zu verwandeln. Unsere Katze fühlte sich wohl und ich… nun, ich pendelte vom ersten Tag an genauso weiter wie bisher. 200km durch die halbe Schweiz, einmal pro Woche Richtung Osten, einmal zurück.

In den vier Jahren zuvor hatte ich das auch schon gemacht, da fuhr ich einmal die Woche zu meiner Freundin, was für einen Unterschied würde es schon machen?


Einen grossen.


Wir zogen im Dezember um. Am 1. Januar erwachten wir das erste Mal im neuen Haus. Der Monat verging dann so, wie man einen ersten Monat am neuen Ort eben verbringt: man richtet sich ein, streitet viel und, in meinem Fall, verbringt etwa 500km pro Woche im Auto. Ermüdend. Dann zwei Trainingslager, ich war kaum «zuhause» und dass es sich dann, wenn ich mal dort war, nicht wie zuhause anfühlte, das schrieb ich der Tatsache zu dass ich nun nach über zwanzig Jahren an einem Ort, an dem ich irgendwie tief verwurzelt war, einfach alles von vorne beginnen musste.


Mein soziales Umfeld war im «Osten» geblieben. Meine Kunden ebenfalls. Mit den Menschen hier kam und komme ich nicht zurecht. Das kann daran liegen, dass ich ein arroganter Snob bin oder ganz einfach an der Tatsache, dass verschiedene Gegenden verschiedene Umfelder hervorbringen. Mit einem Ort, an dem ich bald nicht mehr wusste, ob mein Österreicher Pass oder meine ausserkantonale Autonummer nun das grössere Übel darstellte, hatte ich meine Mühe.


Ich war schon immer sensibel, was meine Umgebung angeht. Natürlich auch die Menschen, doch mehr noch als das die Natur, in der ich mich bewegte.


In der Primarschule war ich gemobbt worden. Natürlich ging das vielen anderen auch so, doch ich wage einmal zu behaupten, dass das, was da in der Rudolf Steiner-Schule Wil tagtäglich über die Bühne ging, selbst die eher toleranteren Rahmen sprengte. Es kam nicht selten vor, dass meine Kameraden sich in der grossen Pause um mich herum versammelten, jede meiner Bewegungen kommentierten und sich dabei gegenseitig so lange anstachelten, bis der erste zuschlug. Dabei beliessen sie es jedoch nicht, sie hetzten immer wieder und immer öfter auch die Kindergärtner auf. Die trauten sich sehr schnell, den komischen Typen mit den langen Haaren zu treten, zu beleidigen, anzuspucken, sie wurden ja beschützt. Einmal wehrte ich mich. Das ganze Theater war in der einen Viertelstunde der Pause so weit eskaliert, dass ich fortlaufen wollte, doch warfen mich zwei meiner Mitschüler zu Boden. Dann wurde ich an den Haaren über den scharfen Kies auf den grossen Platz gezogen, wo man mich hoch hob, auf die Schultern nahm und über jenen Platz trug, jedoch nur, um mich am anderen Ende auf die dort watenden Komposthaufen zu werfen. Als ich da wieder herunter gestiegen war, schlug ich dem Ersten, der in der Nähe stand und mich auslachte, ins Gesicht, was bewirkte, dass mich keine halbe Minute später unser Klassenlehrer, der alles mit angesehen hatte am Kragen packt, schüttelte und mich anschrie. Ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte, so brutal mit meinen Kollegen umzugehen.


Später, am Gymnasium dann, da waren es die Sportlehrerin und der Rektor höchst persönlich, die mich nicht ausstehen konnten. Meine Sportlehrerin war da zumindest sehr ehrlich und gab mir zu verstehen, dass sie mich in erster Linie nicht ausstehen konnte, weil ich ein Mann war. Mein Rektor fand mich einfach nur doof und wollte mich schikanieren.

Warum ich das weiss? Nun… es dauerte nicht lange, bis mich die Attacken der Sportlehrerin auf einem Level trafen, dass ich mich auf der Couch einer psychiatrischen Beratung wieder fand. Auf das daraufhin ausgestellte Attest meines Arztes, welches mich vom Sportbericht befreien sollte, folgte ein Grabenkampf mit der Schulleitung, den man ohne weiteres an RTL hätt verkaufen können. Die Muppetshow endete damit, dass ich mit gerade einmal 19 Jahren gezwungen war, per Anwalt gegen eine der renommiertesten Schulen der Schweiz vorzugehen. Als auch das ignoriert wurde, ging ich ganz einfach.


«Wenn man sich das alles so anhört, kann man sich schon fragen, weshalb du nie gewalttätig wurdest», sagte mir einmal ein guter Freund meiner Mutter, der Psychologe ist. «Oder eben depressiv».


Wer weiss schon, ob ich nicht bereits damals eine Depression hatte? Ich zog mich schwarz an, hörte die härteste Musik, die ich finden konnte und war absolut einverstanden damit, Bands wie Mayhem, Burzum und Marduk zu unterstützen, indem ich ihre CD’s kaufte und T-Shirts mit der expliziten Darstellung einer vollbusigen Frau trug, die sich gerade ein Kruzifix einführte. Fuck me, Jesus. (Okay, damit habe ich per se auch heute noch kein Problem, doch sind die Zeiten, in denen ich das plakativ auftrug, eher vorbei). Ich wollte nicht provozieren. Doch ich wollte um jeden Preis verhindern, dass mir auch nur irgend jemand näher kam. Ich wollte nicht, dass das, was in mir kochte, ein Ventil bekam.


Dennoch fand ich eines: den Sport. Und hier schliesst sich der Kreis: Während all den Jahren waren die Wälder und die Hügel meiner Heimat der Ort, an dem ich meine Schmerzen, meine Ängste, meine Trauer und das Gefühl, nichts wert zu sein, los werden konnte.

Als Kind rannte ich über die kleinen, nur mir und einigen Wildtieren bekannten Pfade, beobachtete Vögel, besuchte die Füchse an ihrem Bau. Ich war Indiana Jones, John McClane, Bilbo Baggins. Ja, ich las, sehr viel und sehr gerne. Das ermöglichte es mir, meine eigene Fantasiewelt zu kreieren, in der ich, nun… sein konnte. Da mochte man mich. Da war ich stark.

Als Teenager entdeckte ich dann den Triathlon für mich und merkte zum ersten Mal in meinem Leben, wie es sich anfühlt, wenn man etwas konnte. Wirklich konnte. Trotz Asthma und allem, was mir schon bei Geburt mit in die Wieg gelegt worden war, konnte ich gut schwimmen, gut laufen und gut Rad fahren. So gut, dass es mir nach dem Fortgang vom Gymnasium möglich war, eine zwar bescheidene, aber dennoch reale Karriere auf der Langdistanz anzugehen.


Und so wurden die Hügel und Wälder in meiner Gegend über die Jahre hinweg mit so viel von meinem Schweiss und meiner Spucke, manchmal auch meinem Erbrochenen getränkt, dass sie irgendwann mehr von meiner DANN enthielten als sonst etwas. Sie wurden zu meinen Hügeln. Zu meinen Wäldern. Zu den Orten, an denen ich Energie schöpfte. Und inneren Frieden fand.


Ist es ein Wunder, dass ich mich hier noch immer zuhause und sicher fühle? Dass ich eigentlich nirgends lieber bin als hier? Dass es mich diesen Februar wieder hierhin zurückzog?


Mir ist klar, dass es Menschen gibt, die anderer Meinung sind als ich und die glauben, dass man im Leben halt ab und an mal etwas durchhalten muss, das nicht so angenehm ist. Dem widerspreche ich nicht. Hey, Ironman right here. Doch "sich etwas ungut fühlen" und "sich überlegen, ob es nicht einfacher wäre, mit Vollgas an den nächsten Baum zu fahren" sind für mich zumindest zwei verschiedene Dinge...


Zeit heilt. Und ich muss und will sie mir nehmen.


Herzlich,

Fabian


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