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The world is wide. Swim it. Ride it. Run it.

AutorenbildFabian Kremser

Orte

Woran liegt es, dass man sich zu einigen Orten wieder und wieder hingezogen, ja, sich dort sicher, aufgehoben und zuhause fühlt, während einem andere ohne jeglichen Grund das exakte Gegenteil vermitteln?

Ich habe mich hier schon einmal zu diesem Thema ausgelassen, das ist mir bewusst. Doch da ich auch damals keine wirkliche Antwort gefunden habe, warum nicht? Oder habe ich die falschen Fragen gestellt?


Eigentlich ist es ja auch einerlei, ich bin der Ansicht, dass es nicht immer für alles und jedes einen Grund braucht. Interessant für mich ist jedoch, dass ich das Gefühl der "Heimat" erst zu fühlen begann, als meine persönliche Freiheit immer grösser wurde.


Es mag paradox klingen, doch bevor der Sport in mein Leben kam, war ich irgendwie einfach DA. Wo auch immer das war. Zuerst in unserer ersten Wohnung, an die ich mich erinnern kann, nahe bei Frauenfeld, dann hier, im Sulzerhof in Aadorf. Es gab Anzeichen dafür, dass ich nicht sonderlich gut damit zurecht kam, woanders zu sein. Das trat vor allem und im Besonderen in Schullagern zutage.


Zweimal stand so ein Lager auf dem Plan, zweimal war es ein einziges Desaster. Das erste Mal müsste in der vierten Klasse oder so gewesen sein. Die ganze Klasse zog aus ins Toggenburg nach Ebnat-Kappel und dort ins Naturfreundehaus, das war oft und gerne die Bleibe der Wahl für die Rudolf Steiner-Schule Wil. Der erste Tag bestand aus Anreise und Ankommen, am zweiten Tag wurde ich krank. Am Abend des zweiten Tages holte mich meine Mutter ab und ich verbrachte den Rest der Woche damit, mich wieder zu erholen.

Beim zweiten Mal fand das Lager in Elgg statt, tatsächlich in Sichtweite meines Wohnortes. Von der Terrasse aus konnte ich das Naturfreundehaus Elgg (richtig, einmal mehr) wieder sehen. Der erste Tag war wieder mit Anreise und Ankommen verplant, am zweiten Tag ging es mir erst nicht allzu schlecht, dann kam das Asthma und ich wurde wieder Abends abgeholt. Da dieses Lager keine fünf Minuten von meiner Haustür entfernt stattfand, wurde die Vereinbarung getroffen, dass ich die Nächte jeweils zuhause, die Tage mit meiner Klasse verbringen würde. Das klappte, doch je mehr Zeit pro Tag wir in diesem Haus verbrachten, desto schlechter ging es mir am Abend.


Woran lag das?


Kinder und Jugendliche sind nicht unbedingt für ihre Sensibilität bekannt, zumindest in meinem Fall war sie relativ absent. bereits bei dem ersten Lager gab es in den Wochen und Monaten danach Spott und Hohn, beim zweiten ging es schon von Anfang an los und wurde natürlich auch nicht besser. Was mich ein wenig traf war die Tatsache, dass mir auf einmal auch meine Nachbarin, die in meinem Alter war, den Krieg erklärte und versuchte, mich nach Kräften von allem auszuschliessen, was so bei uns im Hof stattfand. "Er kann ja nicht mal in einem Lager bleiben, mit so jemandem sollten wir uns nicht abgeben".

Und ja. All das Mobbing, die permanenten Erniedrigungen, die ich jeden Tag in der Schule sowohl von meinen Mitschülern als teils auch von den Lehrern erfuhr, die Gewalt, in die es ausartete, wenn ich mich einmal nicht durch reine Worte "fertig machen" liess (damit war gemeint, mich zum Weinen zu bringen)... das alles trug natürlich dazu bei, dass ich nicht sonderlich scharf drauf war, diesen Menschen für eine ganze Woche 24 Stunden lang ausgesetzt zu sein. ZU sagen, dass ich Angst davor hatte hiess, das Ganze schön zu reden. Es mag sein, dass das reichte, um mich zusammenzufalten.


Doch wenn ich an all das zurückdenke... vielleicht war es auch ganz einfach die Tatsache, dass ich mich meiner Heimat entrissen fühlte, ohne es zu wissen, die mich zusammenbrechen liess. Ich kann es nicht sagen, wie denn auch. Das alles liegt so lange zurück, dass es nur noch wage Erinnerungen sind.


Was ich hingegen sehr präsent habe ist, wie sich dieses Gefühl in mir auszubreiten begann, an einem Ort zu sein, an dem ich willkommen war, an den ich gehörte, an dem ich, ja, zuhause war. Das begann, als ich mich selbst als jemand kennen lernte, der auch einmal etwas konnte und auf die Reihe brachte. Als ich begann, zu laufen und Rad zu fahren.

Das führte nämlich dazu, dass ich die Umgebung rund um den Ort, an dem ich wohnte, immer besser kennen und mich mit ihr zu identifizieren lernte. Der Ort, die Hügel darum herum... sie wurden von einem Ort, an dem ich wohnte zu einem, an dem ich lebte.


Dieses Gefühl hält bis heute an und obwohl es auch andere Orte auf der Welt gibt, an denen ich mich auf Anhieb ähnlich fühlen konnte, war es bisher noch nie so stark wie hier in Aadorf.


Wobei, nein, das stimmt nicht ganz. Es gibt eine Ausnahme. Und zwar die Isle of Skye, genauer gesagt das Örtchen Glendale. Fährt man auf der B884 von Lonmore in Richtung Milowaig kommt man kurz vor dem Örtchen Fasach über eine Hügelkuppe. Die Strasse macht eine leichte Rechtskurve und auf einmal öffnet sich vor einem das Tal. Das Loch Pooltiel liegt in der Ferne vor einem, unten im Tal mäandert der Hamra River verspielt durch die grünen Wiesen in Richtung Küste. Glendale ist klein, liegt verträumt in der Talsohle. Man sieht von weitem eigentlich nur ein paar Cottages, den Dorfladen, der gleichzeitig auch als Postamt und Baumarkt dienen muss (was beeindruckend ist wenn man bedenkt, dass das alles auf einer Ladenfläche zu finden ist, die in etwa so gross ist wie ein durchschnittliches Schlafzimmer) und vor dem Örtchen das Shinti-Feld.


Watching the morning come in on the land

See the moon roll over Skeabost

See the young men late in the glen

All with camans in hand

Sea winds out on the wilds

Sea waves crash onto Uig

See the black homes strung out on a line

Across the island of Skye


Should have been home before daylight

But it's not easy when you're down and hungry

One from the late run rolled up in a coat

I make my way across the moor

For a late summer in '84

But now there's a new day dawning

I've heard the Braes men talk in Portree

The news from Glendale


Still the morning comes in on the land

See the new sun red and rising

See the corn turn ripe in the fields

See the growth of the glen

And MacPherson's in Kilmuir tonight

What a night for a people rising

oh God not before time

There's justice in our lives


And I can't believe

That it's taken all this time

I can't believe

My life and my destiny

After the clans, after the clearings

Here I am

Recovering


Runrig - Recovery

Ihr könnt es euch auch anhören:

Als ich 2014 das erste Mal mit meiner Freundin durch Schottland und auch auf die Isle of Skye kam, kannte ich mehr oder weniger jeden Ort, den wir besuchten. Aus den Liedern von Runrig und aus der Volksmusik, die mich schon so lange begleitete. Ich weiss nicht mehr, wie oft ich in Tränen aufgelöst am Steuer des Mietautos war, weil mich gerade wieder einmal die Tatsache, durch den Soundtrack meines Lebens zu fahren, in Kleinteile zerlegte. Doch ich weiss noch, wie es sich anfühlte, als ich das erste mal über diese Kuppe auf der B884 fuhr. 2018, also vier Jahre später, fühlte es sich genau gleich an.


Ich durfte mir schon mehrfach anhören, dass meine Ortsgebundenheit nicht normal sei. Ist mir ehrlich gesagt aber egal, "normal" ist für mich kein Lebensziel. Ich weiss nur, dass ich auf gewisse Orte eben so reagiere, wie ich es tue. Und ich weiss auch, wo man mich finden kann, sollte ich eines Tages plötzlich verschwinden. Dort, an der B884, gibt es ein kleines Café. Manchmal fahren Autos vorbei, manchmal halten Touristen an, manchmal kommen auch Schafe zu Besuch.


Dort.


Herzlich,

Fabian


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